- 45 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


Zange sind Projektionen der Hand. “In ihrer Gliederung als Handfläche, Daumen und Gefinger ist die offene, hohle, fingerspreizende, drehende, fassende und geballte Hand für sich allein, oder zugleich mit gestrecktem oder gebogenem ganzen Unterarm, die gemeinsame Mutter des nach ihr benannten Handwerkszeuges.” Weiter ergibt sich hieraus für Kapp der Schluß, daß der Mensch erst an dem künstlichen Gegenbild, das er sich erschuf, an der Welt der Artefakte, einen Einblick in die Beschaffenheit seines Leibes, in dessen physiologische Struktur gewinnen konnte. Erst dadurch, daß er lernte, bestimmte physikalisch-technische Apparate herzustellen, habe er an ihnen und durch sie den Bau seiner Organe wahrhaft kennengelernt. Das Auge z.B. ist das Vorbild aller optischen Apparate; aber andererseits läßt sich erst an diesen Apparaten die Beschaffenheit und die Funktion des Auges begreifen. “Erst als das Sehorgan sich in einer Anzahl von mechanischen Verrichtungen projiziert und so deren Rückbeziehung auf seinen anatomischen Bau vorbereitet hatte, konnte dessen physiologisches Rätsel gelöst werden. Von dem unbewußt nach dem organischen Sehwerkzeuge gestalteten Instrument hat der Mensch in bewußter Weise den Namen auf den eigentlichen Herd der Lichtstrahlenbrechung im Auge, auf die ,Kristall-Linse' übertragen”. 1)


Wir gehen dem metaphysischen Gehalt dieser These wie der metaphysischen Begründung, die Kapp für sie gegeben hat, hier nicht näher nach. Soweit diese Begründung sich auf rein spekulative Grundannahmen, auf Schopenhauers Willenslehre und auf Ed. v. Hartmanns “Philosophie des Unbewußten” stützt, ist sie mit Recht bestritten und scharf kritisiert worden.2) Aber diese Kritik tut der Grundauffassung und der Grundeinsicht keinen Abbruch, die Kapp in den Worten ausspricht, daß das technische Wirken, in seiner Richtung nach außen, immer zugleich ein Selbstbekenntnis der Menschen und in ihm ein Medium seiner Selbsterkenntnis darstellt.3) Freilich läßt sich, wenn man diese Auffassung annimmt, auch der radikalen Konsequenz nicht ausweichen, daß der Mensch, mit diesem ersten Genuß der Frucht vom Baum der Erkenntnis, sich für immer aus dem Paradies des rein

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1) Ernst Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik, Braunschweig 1877, S. 41ff., 76ff., 122ff.

2) Vgl. z.B. Max Eyth, Zur Philosophie des Erfindens (a.a.O. S. 234ff.) Zschimmer, Philosophie der Technik, S. 106ff.

3) Kapp, Philos. der Technik, S. 26.


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