- 44 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


diese Energien erschlossen wird, ist zugleich immer ein neuer Aufschluß über das innere Sein – sie verdunkelt dieses Sein nicht, sondern macht es von einer neuen Seite her sichtbar. Es ist stets eine vom Innern an das Äußere, vom Äußeren an das Innere ergehende Offenbarung, die wir hier vor uns haben – und in dieser Doppelbewegung, in dieser eigentümlichen Oszillation wird erst der Umriß der Innen- wie der Außenwelt und ihre beiderseitige Grenze festgestellt. In diesem Sinne gilt es auch vom technischen Wirken, daß es keineswegs auf die Gewinnung eines bloßen “Draußen” gerichtet ist, sondern daß es eine eigentümliche Innenwendung und Rückwendung in sich schließt. Auch hier handelt es sich nicht darum, den einen Pol vom andern loszureißen, sondern vielmehr darum, beide in einem neuen Sinne durcheinander zu bestimmen. Gehen wir dieser Bestimmung nach, so zeigt sich, daß zunächst das Wissen vom Ich in einem ganz besonderen Sinne an die Form des technischen Tuns gebunden zu sein scheint. Die Grenze, die das rein organische Wirken von diesem technischen Tun trennt, ist zugleich eine scharfe und klare Demarkationslinie innerhalb der Entwicklung des Ich-Bewußtseins und der eigentlichen “Selbst-Erkenntnis”. Nach der rein physischen Seite stellt sich dies darin dar, daß dem Menschen das bestimmte und deutliche Bewußtsein der eigenen Leiblichkeit, das Bewußtsein seiner körperlichen Gestalt und seiner körperlichen Funktionen, erst dadurch erwächst, daß er beides nach außen wendet und gewissermaßen aus dem Reflex der äußeren Welt zurückgewinnt. Ernst Kapp hat in seiner “Philosophie der Technik” den Gedanken durchzuführen gesucht, daß dem Menschen die Kenntnis seiner Organe erst auf dem Umweg über die Organprojektion zuteil werde. Unter Organprojektion versteht er hierbei die Tatsache, daß die einzelnen Gliedmaßen des menschlichen Leibes nicht bloß nach außen wirken, sondern daß sie sich im äußeren Dasein gewissermaßen ein Bild ihrer selbst erschaffen. Ein solches Bild des Leibes ist jedes primitive Werkzeug; es ist ein Widerspiel und eine Widerspiegelung der Form und der Verhältnisse des Leibes in einem bestimmten materiellen Gebilde der Außenwelt. Jegliches Handwerkszeug erscheint in diesem Sinne als eine Fortsetzung und Fortbildung, als ein Nachaußentreten der Hand selbst. Die Hand hat in allen denkbaren Weisen ihrer Stellung und Bewegung die organischen Urformen geliefert, denen der Mensch unbewußt seine ersten notwendigen Geräte nachgeformt hat. Hammer und Axt, Meißel und Bohrer, Schere und


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