- 443 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (442)Nächste Seite (444) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



muß gegenüber der Möglichkeit einer authentischen Darstellung notwendig völlig zurücktreten.


Die Technik hat das Ziel, die Mitwirkung von Menschen bei der Darstellung musikalischer Werke aufs äußerste zu vermindern oder überhaupt zu beseitigen. Die Technik tritt auf gegen den Mittler. Daß eine solche Behauptung bei vielen Bestürzung und heftige Abwehr hervorrufen wird, ist nur ein Zeichen dafür, in welcher Verwirrung wir leben. Denn das Ende der Musikinterpretation bedeutet nie und nimmer das drohende Ende der Musik überhaupt. Wohl aber bringt die Technisierung allmählich mit sich, daß die von ihr übernommene Reproduktion als menschlicher Wert und Leistung ausscheidet: Scheinbar zunächst aufs äußerste gesteigert und gefordert, wird sie im steigenden Maße bedeutungslos: die Bejahung schlägt dialektisch um in die Verneinung. Dann aber werden wir aufhören, den Begriff des Musikmachens zu identifizieren mit der notengetreuen Wiedergabe vorhandener Musikstücke. Denn diese wird allmählich selbstverständlich werden. An ihre Stelle kann und muß dann etwas anderes treten: die Wiedergeburt des wahrhaft menschlichen Musizierens, das den schöpferischen Kräften jedes einzelnen Mittuenden in mehr oder minder hohem Maße Spielraum gewährt. Musik, die einmalig da ist und unverändert aufbewahrt wird wie Statuen und Gemälde, wird ergänzt werden durch eine andere, die nur die große Linie des von dem Musizierenden einzuhaltenden Weges vorschreibt, im übrigen aber mit ihm rechnet als einer schöpferisch weiterbildenden Person. An die Stelle des Musikstücke nachexerzierenden menschlichen Automaten, den sie durch ihre eigene Vollkommenheit überflüssig macht, wird die Technik den Menschen zu einer mehr oder minder freien Schöpferleistung aufrufen; sie wird ihn befreien von dürftiger Nachahmung und ihm das Gebot der Entwicklung seiner eigenen Kräfte auferlegen.


IX


So bekommt mittelbar durch die Technisierung die Bewegung eine entscheidende Bestätigung, die auf die Aktivierung des musizierenden Menschen zielt. Während der Wiedergabeapparat zur höchsten Vollendung ausgebaut wird, besteht die wesentliche geistige Aufgabe nun


Erste Seite (1) Vorherige Seite (442)Nächste Seite (444) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 443 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik