- 441 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (440)Nächste Seite (442) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



wirken. Zunächst auf seine äußeren Lebensbedingungen: denn wir sind ja nicht mehr darauf angewiesen, in Konzerte zu gehen. Noch immer aber bleibt, auch in einer späteren Epoche, der Interpret, oder genauer ausgedrückt, der Wiederholer vorhandener Musik, ein notwendiger und vielfach in Anspruch genommener Faktor. Freilich ist es auch dabei unverkennbar, daß sich Tendenzen deutlich bemerkbar machen, ihn auch hierbei in seiner Position gleichzeitig zu bestätigen, äußerlich aber zu schädigen. Man denke nur an die Verwendung von Schallplatten im Rundfunk. Sie ist zweifellos erst im Beginn; aber schon hat sie bis zu einem gewissen Grade die Wirkung, den unmittelbar mitwirkenden Musiker wieder zu verdrängen und an seine Stelle die einmalig gelieferte Leistung zu setzen. Nehmen wir nun wiederum an, daß alle diese technischen Vorgänge ein Höchstmaß von Vollkommenheit erreichen, so kommen wir schließlich zu einem Zustand, wo es nicht mehr notwendig ist, vorhandene Musikwerke fortwährend neu darstellen zu lassen, sondern wo an Stelle dessen die alltäglich mögliche Wiedergabe der einmal fixierten Leistung tritt. Und es ist nur noch ein Interesse, das uns dann veranlassen kann, überhaupt einen Wechsel des Interpreten, sei es für Schallplatte, sei es für den Rundfunk, zu fordern: nämlich das an der persönlichen Deutung, das heißt an dem Hervortreten der künstlerischen Einzelpersönlichkeit gegenüber dem Werk. Dieses Interesse aber ist in unsern Zeiten ebenfalls ganz deutlich im Abnehmen begriffen. Wir wollen weniger und weniger hören, wie Herr X. oder Y. das Stück auffaßt, wir wollen vielmehr hören, wie es ist.  Wiederum sehen wir also, daß von verschiedenen Seiten her jene uns so lieb gewordene und für selbstverständlich gehaltene Gewohnheit, die Interpretation künstlerischer Werke als wesentlich zu betrachten, bedroht wird. In einer späteren Etappe der Technisierung wäre es durchaus denkbar, daß ein Musiker, nehmen wir einen Pianisten, ein Stück für die Schallplatte spielt, die uns nun seine Leistung für Funk und unmittelbare Wiedergabe ein für allemal so gut aufbewahrt, daß wir nicht das geringste Interesse haben, weder deren Wiederholung zu erleben, noch den Künstler dabei persönlich anzuschauen, und zudem nur eine geringe Neigung, uns das gleiche Stück von einem andern vorspielen zu lassen.


Mit einem Wort gesagt: Die Zukunft der Technisierung bringt in einem späteren Stadium sehr wahrscheinlich nach dem Absterben des Konzertes das Absterben des Interpreten. Nicht vollständig: im Gegenteil,


Erste Seite (1) Vorherige Seite (440)Nächste Seite (442) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 441 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik