- 440 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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zuhörenden Personen aufhören wird. Aber sie wird auf die Fälle beschränkt werden, wo die gleichzeitige Anwesenheit so vieler Menschen, ihr Versammeltsein um ein Werk wirklich einen Sinn hat: und das geschieht dort, wo der gesellschaftliche Charakter einer solchen Zusammenkunft in einer neuen Weise betätigt ist; denn die bisher gültige Konvention, die der Anwesenheit einer bestimmten künstlerisch interessierten und klassenmäßig gleichgeordneten Schicht, wird sich in Wahrheit nicht mehr regenerieren lassen. Neben fremden Menschen gleichgültig oder ablehnend zu sitzen, ist überflüssig; die gewaltige Gemeinsamkeit aber, die von der Musik ausgeht, tatsächlich in Erscheinung treten zu lassen, so daß die dabei entstehende Zusammengehörigkeit nicht nur ganz vage die Menschen momentan verbindet, sondern sich als freudige Kraft geltend macht — das wird eines Tages die aus tiefen Quellen gespeiste Erneuerung eines musikerfüllten Zusammenseins ergeben, welche von unsern Konzerten weit, sehr weit entfernt ist.


Verfolgen wir nun den Vorgang der technischen Musikreproduktion als einen höchst sinnvollen und in sich organisch geschlossenen weiter; versuchen wir, uns klarzumachen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben werden. Eine der deutlichsten, auf die ja immer wieder hingewiesen wird, ist die Gefahr der Bequemlichkeit: der Apparat nimmt uns Mühen ab, er überhebt uns jener Anstrengungen, die überall dort fruchtbar notwendig waren, wo sich Dilettanten die Aufgabe gemeinsamen Musizierens stellten. Kann man nun hoffen, daß dieser Einfluß tatsächlich rückgängig gemacht wird? Besteht wirklich Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich wieder wie früher Dilettantenzirkel bilden, um das gleiche höchst unvollkommen hervorzubringen, was ihnen auf einfache Weise höchst vollkommen zugänglich ist? Es ist durchaus nicht anzunehmen. Vielmehr überhebt uns die technische Wiedergabe des Versuches, mit eigenen unzulänglichen Mitteln etwas Ähnliches zu erreichen. Wenn deshalb geäußert wird, daß sich zum Beispiel die Kultur des Klavierspiels von Nichtmusikern allmählich schon wieder heben würde und daß es nur wirtschaftliche Momente seien, welche dies im Augenblick zurücktreten ließen — so ist das nichts als ein schöner Wahn: soweit man nämlich an die reine Wiedergabe von Musik denkt. Sie ist uns in steigendem Maße einfach durch die technischen Mittel abgenommen: an dieser Tatsache ist nicht zu rütteln.


Das muß nun bestimmt auf die Stellung und Leistung des lnterpreten


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