Ernst Cassirer: Form und Technik
sich als Schöpferin des Menschentums erweist, die die spezifische Weise des Mensch-Seins erst ermöglicht und konstituiert. Der Spieltrieb, auf den Schiller die Region der Schönheit gründet, tritt nicht einfach neben die bloßen Naturtriebe, so daß er lediglich eine Erweiterung ihres Umfangs wäre, sondern er wandelt ihren spezifischen Gehalt und erschließt und erobert damit erst die eigentliche Sphäre der Humanität. Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Diese Totalität des Menschentums scheint sich in keiner andern Funktion im selben Sinne und im gleichen Maße verwirklichen zu lassen, als in der Kunst. In der deutschen Geistesgeschichte läßt sich freilich verfolgen, wie der rein ästhetisch gefaßte und ästhetisch begründete Humanismus sich allmählich dadurch weitet, daß der Kunst eine andere geistige Macht selbständig und gleichberechtigt zur Seite tritt. Bei Herder und Humboldt ist es die Sprache, die sich mit der Kunst in die Schöpferrolle teilt, die als grundlegendes Motiv der echten Anthropogenie erscheint. Dem Bereich des technischen Wirkens aber scheint jede solche Anerkennung versagt zu sein. Denn dieses Wirken scheint durchaus der Herrschaft jenes Triebes zu unterstehen, den Schiller als sinnlichen Trieb oder als Stofftrieb charakterisiert. In ihm manifestiert sich der Drang nach außen; der typisch zentrifugale Trieb. Es bringt ein Stück der Welt nach dem andern unter die Botmäßigkeit des menschlichen Willens aber diese Ausbreitung, diese Erweiterung der Peripherie des Seins führt eben damit weiter und weiter vom Zentrum der Person und der persönlichen Existenz hinweg. So scheint jeder Gewinn an Breite hier mit dem Verlust an Tiefe erkauft werden zu müssen. Läßt sich auf eine Funktion wie diese, in irgendeinem, wenn auch noch so mittelbaren Sinne das Wort anwenden, das Schiller für die Kunst geprägt hat daß sie nicht nur eine Schöpfung des Menschen, sondern, daß sie seine zweite Schöpferin sei?
Und doch erhebt sich gegen die Auffassung, die in der Technik ein lediglich nach außen gerichtetes Bestreben sehen will, schon ein ganz allgemeines Bedenken. Denn das Wort Goethes, daß die Natur weder Kern noch Schale habe, läßt sich mit noch höherem Recht auf die Gesamtheit der geistigen Betätigungen und Energien anwenden. Hier gibt es im Grunde nirgends eine Trennung, eine absolute Schranke zwischen dem Außen und Innen. Jede neue Gestalt der Welt, die durch
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