- 437 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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unvergleichlich stärker geworden ist als zum Werk. Wenn ihm das letztere vor allem bedeutsam wäre, was könnte es ihm dabei helfen, daß er Menschen bei einer meist unschönen mechanischen Arbeit wirken sieht, die mit ihrer Kunst als solcher nichts zu tun hat, noch weniger aber mit dem Schöpfer derselben?! Wenn es noch möglich wäre, wenigstens die Komponisten selbst dabei am Werke zu sehen — so wäre immerhin dadurch die Brücke zu dem künstlerischen Gebilde als solchem eher vorhanden als jetzt.


Es ist in hohem Maße wahrscheinlich, daß sich diese durch die Technik der Musikwiedergabe erleichterte Erkenntnis künftig insofern mit Entschiedenheit geltend machen muß, als man für die Bildwiedergabe musizierender Künstler kaum Interesse aufbringen wird. Wir haben jetzt bereits den Versuch gesehen, im Tonfilm ein Konzert als solches zu reproduzieren, und zwar derart, daß man den Dirigenten und das Orchester während des Spieles möglichst genau sehen kann. Dieser Versuch, das Konzert in die Technisierung zu übernehmen, wird wahrscheinlich aussichtslos sein; zum mindesten ist er ästhetisch von minimalem Wert. Er bringt gerade jenes Moment der Äußerlichkeit, der Sensation, der Abwendung von der eigentlichen Substanz des musikalischen Werkes, das uns gerade durch die Technisierung als entbehrlich zum Bewußtsein gekommen ist, wieder in den Vordergrund. Die Zukunft der Technisierung wird eher zu einer erneuten Hinwendung auf die Musik als solche führen, als auf die Erhaltung von Institutionen, die gerade bedingt sind durch den früher vorhandenen Mangel technischer Reproduktionsmittel.


Es wäre eine ganz verkehrte Art, sich Illusionen über das Wesen der Technisierung zu machen, wenn man beschönigen würde, daß es sich hierbei, wie überhaupt bei allen Vorgängen dieser Art, um einen entschiedenen Angriff gegen einzelne, uns gewohnte Formen der Musikdarbietung, wie zum Beispiel das Konzert, handelt. Was dieses in seiner jetzigen Ausdehnung wesentlich noch ermöglicht, ist das uns gewohnte zweite Merkmal der technischen Wiedergabe: nämlich ihre technische Unzulänglichkeit. Auch sie aber gehört zum mindesten mit ihren bisherigen Begrenzungen ausschließlich der jetzigen Stufe der Technisierung an und ist künftig nicht als wesentliches Moment mit einzusetzen. Im Gegenteil haben wir, wie anfangs ausgeführt, allen Anlaß, anzunehmen, daß sich die technische Musikwiedergabe und Musikverbreitung allmählich, voraussichtlich sogar sehr rasch, derart


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