- 436 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Reproduktionstechniken begründet. Er macht es nun erklärlich, daß die Situation auf den Gebieten der Musik heute bereits ganz anders aussieht als auf dem des Films oder Tonfilms. Denn hier wird nun mit einem Male das ganze Thema von Werk und Wiedergabe des Werkes zur Diskussion gestellt und in eine neue Ebene gerückt.


Gegenüber der unmittelbaren Darbietung von Musik hat die technische Wiedergabe zunächst einmal das unterscheidende Merkmal, daß sie nur die Musik als solche bringt, losgelöst von allen optischen Beigaben oder Zusammenhängen. Diese Eigentümlichkeit gehört in ihrer jetzigen Form wiederum nur einer bestimmten Stufe der technischen Entwicklung an. Sie ist also nichts, was der Technisierung in der Musik als solcher unbedingt und auf die Dauer eigentümlich ist. Fernsehen und Tonfilm sowie die Fixierung sichtbarer Vorgänge auf Schallplatten oder auf einem andern leicht transportablen Medium werden in der zweiten Stufe die dazugehörige bildliche Ergänzung liefern können. Allerdings ist es sehr die Frage, wieweit man dann von solchen Möglichkeiten Gebrauch machen wird. Denn diese Techniken haben uns in ihrer bisherigen Form schon deutlich genug gelehrt, soweit wir es noch nicht wußten, daß Musik ein rein klanglicher Vorgang ist, der sich als solcher unbedingt in der Ebene des Akustischen erfüllt. Es finden auch heute noch häufig genug Diskussionen darüber statt, wieweit bei musikalischen Darbietungen der Anblick der dabei beschäftigten Musiker zu entbehren ist oder nicht. Es scheint, daß verschiedene Menschen je nach ihrer Erziehung und geistigen Einstellung dabei auch verschieden reagieren. Trotzdem aber hat sich im allgemeinen die Erkenntnis und das Gefühl dafür durchgesetzt, daß der Anblick der Interpreten keine ästhetische Notwendigkeit ist, sondern im Gegensatz den Eindruck in den meisten Fällen nur stört. Man kommt dann sehr bald auf die Überlegung, wie merkwürdig eigentlich die Gewohnheit ist, zu einem Musikstück optische Gegebenheiten zu verlangen, die in Wahrheit nicht das geringste damit zu tun haben. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß dabei in erster Linie an absolute Musik gedacht ist, nicht aber an die Oper, die ja ihrer ästhetischen Natur nach zu einem ganz beträchtlichen Teil für die Augen bestimmt ist. Wieso aber ist es im Konzert überhaupt von Wert, Künstler dabei zu betrachten, wie sie Musik verfertigen? Bei genauerem Zusehen wird dies nur dadurch erklärlich, daß durch die Entwicklung des 19. Jahrhunderts die Beziehung des Durchschnittshörers zum Interpreten


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