- 415 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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sich bei dem Klang kein einziger Faktor, der einer mathematisch-naturwissenschaftlichen Erfassung als solcher widerstrebt. Der dürftige Rest von Romantik, der in derartigen Vorbehalten, in einem solchen Zurückscheuen vor der Greifbarkeit des schließlich doch Unbegreifbaren liegt, ist ein Anachronismus.


Wir haben beim Rundfunk erlebt, daß sich die Wiedergabe innerhalb einer erstaunlich kurzen Zeit zum mindesten bis zu einem Maße vervollkommnet hat, wie man es noch vor drei oder vier Jahren vielfach nicht für möglich hielt. Man muß für die Zukunft damit rechnen, daß innerhalb einer sehr kurzen Zeit sämtliche noch bisher gegebenen Begrenzungen und Unvollkommenheiten in einem steigenden Maße verschwinden, derart, daß der noch immer gegenüber dem Original vorhandene Unterschied so gering sein wird, daß er praktisch überhaupt nicht mehr in Betracht kommt. Es kann nicht bezweifelt werden, daß der Faktor der Unzulänglichkeit beständig kleiner wird. Man muß ihn bei Überlegungen über das Gesamtgebiet für eine etwas spätere Zeit mit Null einsetzen — nicht, das sei wiederholt, aus irgendeinem haltlosen Optimismus, sondern im Verlauf einer reinen Feststellung der objektiv gegebenen Tendenzen.


Wir haben gelernt, daß nicht Klangfarbe, nicht Klangstärke, nicht Klangdifferenzierung unbegreiflich über dem Ganzen schwebende Elemente sind, sondern sich in Zahlen als Produkte der verschiedensten Schwingungsverhältnisse darstellen lassen. Selbst, wenn uns der Techniker in diesen Tagen versichern würde, daß er daran behindert ist, Frequenzen über 1oooo und unter 1oo im Rundfunk und auf der Schallplatte wiederzugeben, so würde das doch nur auf den momentanen Zustand Bezug haben. Er wird uns keinesfalls versichern können, daß dies naturgegebene Begrenzungen sind, über die er niemals hinaus kann, und die einen absoluten Endpunkt darstellen, wie zum Beispiel die Geschwindigkeit des Lichtes. Das gilt natürlich für alle in Betracht kommenden Faktoren.


Es klingt auch heute noch etwas vage, wenn man versichert, daß eines nicht sehr fernen Tages jeder klangliche Vorgang in einer Art reproduzierbar sein wird, die ihn praktisch dem Original gleich erscheinen lassen muß. Wenn wir uns aber vergegenwärtigen, daß wir für die gegenteilige Annahme keinen zwingenden logischen Grund haben, so wird es notwendig sein, uns mit der Vorstellung einer solchen Wahrscheinlichkeit anzufreunden.


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