- 414 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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nichts Neues sagen; wohl aber den zahlreichen Intellektuellen, die sich mit diesen Dingen viel zu wenig beschäftigen. Aus ihren Kreisen hört man oft die seltsamsten Argumente; zum Beispiel dies: daß in der ganzen Entwicklung, rein auf das Technische bezogen, ein Rückschlag eintreten müsse und daß wir gegenwärtig an einem Höhepunkt angelangt seien. Es gibt nicht das geringste Symptom, das dafür spricht. Vielmehr ist jetzt schon festzustellen, daß etwas anderes in Erscheinung tritt, nämlich das Entgegengesetzte; das Tempo der Technisierung, das Tempo der Naturbeherrschung steigert sich. Die Erfindungen folgen aufeinander mit immer größerer Geschwindigkeit, eine Tatsache, die sehr wahrscheinlich auf die höhere Form der Organisation der Zusammenarbeit zurückzuführen ist, zu der die Menschheit allmählich gelangt. Alfred Döblin hat dies in seinem im übrigen so problematischen Roman “Berge, Meer; und Giganten” sehr glaubhaft als eines der wesentlichen Momente der zukünftigen Menschheitsentwicklung dargestellt.


Wir haben zunächst einmal mit einer Vervollkommnung der jetzt gegebenen technischen Mittel zu rechnen. Wie wird sie aussehen? Man denke zunächst an Rundfunk und Schallplatte als an das Nächstliegendste. In populären Diskussionen darüber wird sehr häufig das Argument gebraucht: die Technik wird niemals . . . dann folgt irgendeine Behauptung, die sich auf die Qualität der Wiedergabe bezieht. Es muß gesagt werden, daß solche populären Vorstellungen von schicksalsmäßig gegebenen Grenzen eine Art vergebliche Zuflucht des Denkens sind, das nun einmal in Mitteleuropa bei vielen Menschen darauf eingerichtet ist, sich vor der Technik zu fürchten oder der technischen Entwicklung ein Minimum an geistigen Konsequenzen zuzubilligen. Es gibt keine technische Tatsache, aus der mit Sicherheit die Grenze der Vervollkommnung erkennbar ist. Eine schiefe Mystik neigt zu der Vorstellung, daß irgend etwas, zum Beispiel am musikalischen Klange, unter allen Umständen materiell ungreifbar sei, infolgedessen nicht zerlegt und an anderer Stelle wieder zusammengesetzt werden könne. Man meint, man hofft, ein ungewisses Etwas zum Beispiel über jedem Musikstück oder jeder Originalhandlung des Theaters schweben zu sehen, das einmalig und unreproduzierbar sei und sich als ein merkwürdiges geistiges Prinzip jeder Art von naturwissenschaftlicher Verwandlung entzöge. Aber die Physik lehrt uns mit unbeirrbarer Entschiedenheit, daß es kein einziges Moment unmittelbarer Sinneswahrnehmung gibt, das nicht materiell bestimmt wäre; insbesondere findet


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