- 411 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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und übrigens längst falsch gewordene Argument gegen den Rundfunk ins Feld geführt wurde, daß bei Funkwiedergabe von Musik Geiger wie Bläser klängen. Selbst, wenn dies richtig wäre, so würde es über die Tatsache Rundfunk überhaupt nichts besagen, sondern nur über den Rundfunk in diesem Augenblick. Solche Behauptungen können in der Zeit zwischen ihrem Schreiben und ihrer Drucklegung bereits verkehrt geworden sein. Selbstverständlich kann es auch einen gewissen Wert haben, den gegenwärtig erreichten Stand der technischen Vervollkommnung einer Betrachtung zugrunde zu legen — niemals aber darf dabei die Einsicht fehlen, daß alle so gewonnenen Feststellungen eben nur für einen relativ äußerst begrenzten Zeitraum Gültigkeit haben und bereits morgen überholt sein können.


Zu entscheidend richtigen Resultaten kann man auf diese Weise nie und nimmer kommen. Die sind nur dann zu gewinnen, wenn man den Vorgang der Technisierung als das betrachtet, was er ist: nämlich als fortlaufender Prozeß. Um eine Entwicklung zu begreifen, an deren Anfang wir stehen, müssen wir uns bemühen, zu erkennen, welcher Art sie ist und vor allem, welche Ziele sie sich sucht.


Wir sind dabei in einer günstigeren Lage, als wenn es sich um Entwicklungsvorgänge anderer Art handeln würde. Denn es sind sonst immer eine Anzahl der verschiedensten Kraftelemente wirksam, die das Bild komplizieren. Der Weg der Technik ist nach allem, was uns bekannt ist, vollständig gradlinig. Wir brauchen ihn nur entlang zu blicken, um zu sehen, wohin er führt und führen muß.


Um den Charakter der Technisierung, soweit sie unter das hier gestellte Thema fällt, zu erkennen, ist es deshalb erforderlich, den Blick in die Zukunft zu richten. Erst dann kann es deutlich werden, was eigentlich im gegenwärtigen Moment vor sich geht.

Leider ist unser Denken viel zuwenig geschult, sich mit zukünftigen, wahrscheinlichen oder sicheren Entwicklungen abzugeben; die geistige Erziehung ist im allgemeinen nicht darauf gerichtet. Man lehrt uns bekanntlich, die Gegenwart aus der Vergangenheit zu begreifen; der Blick ist, zumal beim Europäer, mit krampfhafter Starrheit in die Vergangenheit gerichtet; er wagt es nicht oder ist überhaupt nicht geneigt, die Zukunft anzuschauen. Er versteht das Heute aus dem Gestern. Aber diese Betrachtungsweise ist nun gegenüber den Vorgängen der Technisierung doppelt unzulänglich; sowie es zum Beispiel für den Film keinerlei historische Begründung, keinen Weg des Verstehens aus


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