- 405 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Hatten bisher Jahrmarktsgaukler und wandernde Komödianten diesen Trieb nur notdürftig befriedigen können, so trat jetzt die Vergnügungsindustrie an ihre Stelle.


Nach einigen Versuchen gelang es den Unternehmern, die technische Form zu finden, die es ermöglichte, den Trieb des Proletariats pauschal zu befriedigen und zu gleicher Zeit die Früchte einer solchen Arbeit auch kaufmännisch zu ernten.


Es entstand unter anderm die mechanische Reproduzierungsmöglichkeit von akustischen Vorgängen: das Grammophon.



III


Die Genesis des Grammophons bestimmt die heutige Situation der Schallplattenauswirkung.


Nicht wie die Erfindung der Buchdruckerkunst steht der Phonograph im Zeichen einer geistigen Bewegung, vielmehr ist er ein getreuer Spiegel der realen Verhältnisse, wie sie durch die Entwicklung bedingt sind.


Das Hauptkontingent aller Schallplattenaufnahmen stellen leichte und leichteste Musik dar. Tanzschlager erfreuen sich der weitaus größten Beliebtheit, es folgen in einem gewissen Abstand Militärmärsche und seichte Unterhaltungsmusik, wie z.B. ”Die Mühle im Schwarzwald“ usw. Sentimentale Gesänge, z.B. ”Das Bergmannskind“, ”Zwei verlassene Italiener“ usw., sind sehr begehrte Artikel. Aufnahmen berühmter Sänger (Tauber usw.) sind geschäftlich auch auf der Plusseite zu buchen. In weitem Abstand folgen sogenannte kulturell wichtige Aufnahmen, wie Beethoven-Symphonien, Chorwerke usw., die jedoch die Unternehmer nicht aus Liebe zur Kunst, sondern vielmehr aus Repräsentationsgründen verfertigen lassen. Durch eine Überproduktion, deren Folgen immer mehr Platz greifen dürften, sehen sich die Industriellen gezwungen, nach neuen Absatzmöglichkeiten Umschau zu halten. Der Tonfilm scheint neue Verdienstmöglichkeiten zu bieten, durch Unterrichtsplatten sucht man neue Kunden zu werben.


Im geistigen Leben spielt die Schallplatte jedoch keine Rolle. Das liegt jedoch nicht zum wenigsten daran, daß das geistige Leben momentan gleichfalls keine Rolle spielt.


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