- 406 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Die Entfremdung zwischen Publikum und neuer Musik hat – bedingt durch die Entwicklung der letzten Jahre – seinen Höhepunkt erreicht.


Noch duldeten – wenn auch widerwillig – die Konsumenten moderne Musik, es ist jedoch zu erwarten, daß in Kürze ein Vernichtungskampf gegen jede Kunst, die nicht primitivstem Genußwillen entgegenkommen will, mit aller Schärfe eingeleitet wird.


Die Ahnung einer solchen Gefahr dämmert bereits bei vielen auf. Leider ist die Reaktion darauf keine erfreuliche. Denn, um einer drohenden Vernichtung vorzubeugen, glauben viele, es genüge, sich einem schrankenlosen Opportunismus in die Arme zu werfen, indem man sich – wenngleich auch noch etwas verschämt – auf ein niederes Niveau einstelle. Jedoch diese Erschlaffung ist bereits Symptom erfolgter Niederlage.


Wenn die Entwicklung der letzten zehn Jahre nicht durch eine plötzlich erwachte Betriebsamkeit liquidiert werden soll, gilt es heute, alle Kräfte anzuspannen, um das Feld behaupten zu können.


Heute sind die Künstler in einer ähnlichen Situation wie Geschäftsleute zu Zeiten wirtschaftlicher Krise.


Wichtigste Aufgabe muß es daher sein, Kunden zu werben, neue Konsumenten zu gewinnen.


Das könnte z.B. durch die Schaffung musikalischer Konsumvereine ermöglicht werden, das heißt durch einen Zusammenschluß der interessierten Kreise, die sich heute noch, in ihrer splendid isolation verharrend, mit wehmütigem Lächeln die Gurgel durchschneiden lassen.


Das könnte geschehen durch die Hineintragung der Schallplatte in den Unterricht. Die Schulleiter könnten sich dadurch ein Mitbestimmungsrecht auf die Produktion erobern.


Das könnte geschehen durch die Vorführung von Schallplatten in den Volksbildungsämtern, deren Teilnehmer sich wiederum als Konsumvereinigungen organisieren könnten.


Es gibt selbst in dieser heutigen, ernsten Situation Möglichkeiten, sich nicht kampflos der Diktatur der Vergnügungsindustrie unterwerfen zu müssen.


Natürlich wird man nicht von heute auf morgen die Verhältnisse ändern können, es ist jedoch wichtig, ohne bequeme Resignation unermüdlich daran zu arbeiten, eines Tages die Schallplatte in den geistigen Kreislauf der Zeit miteinbeziehen zu können.


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