- 391 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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das den Geschmack der Moderne mit dem Geschmack des Publikums zu versöhnen sucht, eine Zwischenstation die den Fortschritt der Kunst hinausschiebt. Hier wie dort ist die Maschine voraussetzunggebend, wird durch sie die Möglichkeit zu einem neuen Anfang, zu einer neuen Lösung vorzudringen, geschaffen. Wie in die bisher statische Bilderwelt, in der sämtliche zeitlich auseinanderfallende Erlebnismomente gleichzeitig und synthetisch gegeben sind, durch die Maschine zum ersten Male real die Zeit als wesentliches Gestaltungselement einbezogen und damit die Vorbedingung für die Verwirklichung einer visuellen Musik, einer “filmischen” Kunst erst gesetzt wird, — so klingt zum ersten Male in die Musikwelt real der Raum hinein. Nicht so zu verstehen, als sei die Musik bisher ohne Raum gewesen. Die Melodie vollzieht sich bisher nur symbolisch faßbar in dem ihr nur eigenen Tonraume, in welchem sie ihre Gestalt gewinnt und abwandelt. Real tastbar ist die Musik bisher nur in der Zeit. Nunmehr raumtonal gestaltbar läuft die Musik real tastbar im Raume ab. Das Klangfarbenmelos bedingt den Übergang zu den Formgesetzen einer kommenden und technisch vorgebildeten Musik, das heißt, einer Musik, deren Formen nicht mehr nur in der Zeit, sondern auch im Raume real tastbar sich abwickeln, übertonal. Der real mitklingende Raum oder der “räumliche” Lagewert des Klanges — im Gegensatz zu dem bisher “räumigen”, stimmlichen, an die phänomenale Räumlichkeit des Leibes gebundenen Lagewert des Tones, ist ebenso Voraussetzung wie der atomisierte und dynamisierte Klang, um der Klangfarbe eine selbständige und absolute Geltung zu verschaffen. Kurz, erst der technisch und damit phänomenal anders und neu vorgegebene Klang, dessen Anderssein bis in die “Schallform” selbst bestimmend eindringt, - sie wird “schwebend“ sein, gegenüber der bisher “punktförmigen”, stimmlichen und körpergebundenen — ermöglicht das Dasein der Klangfarbenmusik. Denn der Ton ist ein geistiges Gebilde. Ohne die Einfügung in ein übertonales Gefüge sind mit der Klangfarbe nur Wirkungen auf den Zustand der Seele, nicht Sinnzusammenhänge hervorzubringen. Das Problem der Tonalität, der Melodie und Harmonie, der Musik ist damit in ein grundsätzlich neues Stadium getreten. 1)


Wir sind mit diesen Ausführungen keineswegs von unserem Thema

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1) R. Beyer: Das Problem der “kommenden Musik“. Ztschr. Die Musik, H.12 1928.


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