- 390 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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eine neue und höhere Form statuieren, die sich zur alten, zerschlagenen einstellt als nächste Stufe einer einheitlichen Treppe der Aufwärtsentwicklung, heißt zuletzt, das Formgesetz der Klangfarbenmusik verwirklichen. Daß der Versuch, das funktional entwertete Material formal zu fügen, die Gegenständlichkeit der Musik durch eine neue Form wiederherzustellen, scheitern muß, liegt daran, daß man die Gestaltung nicht in allen ihren Teilen grundlegend geändert hat, daß man noch versucht, die Klangfarbe tonlinienhaft und „stimmführend” zu vollenden.1) Klangfarbenmelodie ist a priori Zielsetzung auf einer andern und neuen Stufe. Die Entwicklung der Musik steht vor einem neuen Tor. Das Wesen des übertonalen Klangfarbenmelos ist mit den bisherigen künstlerischen Denkmitteln nicht zu erschließen. Die Verwirklichung seiner bisher ideellen Existenz wird erst aus ganz andersartigen Vorstellungen und ganz andersartigen Realisierungsmethoden möglich werden. Man kann sagen: die Idee des Klangfarbenmelos ist schon auf die Maschine und ihre Möglichkeiten hin entworfen, auf den atomisierten und dynamisierten Klang, auf den real mitklingenden Raum, nicht mehr auf die Möglichkeiten einer körpergebundenen Tonerzeugung. Gegenüber den vorgegebenen Grenzen mußte die Idee, die von vornherein außerhalb dieser Grenzen erfunden war, zur Destruktion führen, zur Atonalisierung der Musik. Der Versuch, mit der bisherigen Kompositionstechnik ein positives Klangbewußtsein, Tonalität, wiederzugewinnen, muß ergebnislos bleiben. Mit dieser Erkenntnis bestimmt sich die nächste Etappe.


Der Zustand der Malerei ist etwas Paralleles. Hier das Experiment, Elemente, die der Welt des Ohres zugehören, hinüberzunehmen in die des Auges. Dort, in der Musik, das Streben, Elemente, die der Welt des Auges zugehören, hinüberzunehmen in die des Ohres. Hier führte der Prozeß zur Aufhebung des Gegenstandes, zur Sprengung des Rahmens, des Bildes überhaupt, — dort zur Atonalität, was dem entspricht. Hier wie dort die Zwischenstation der Sachlichkeit, einer Manier, die zugunsten der Bewältigung konkreter Einzelfragen auf jede Gesamtsicht verzichtet 2), eines historisierenden Kunsthandwerks,

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1) Es bleibt bei einer Differenzierung bisheriger Register- bzw. Orchestrationstechnik. Beweis — Die Musik für ein elektrisches Instrument von P. Hindemith (Neue Musik, Berlin 1930.) Der Farbübergang ist als Problem nicht einmal gesichtet.

2) Wir erinnern an die Ideologien “arteigene” Funk-Grammophon-Tonfilm-Musik.


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