- 39 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


sondern beide wirken als fremde und überlegene Kräfte. Der dämonische Charakter, der der mythischen Auffassung als solcher eigen ist, erstreckt sich auch auf diese beiden Welten und droht sie zunächst vollständig in seinen Bann zu ziehen. Das Ganze der Worte und das Ganze der Werkzeuge erscheint selbst wie eine Art von Pandämonium. Die Sprache ist keineswegs ursprünglich ein rein sachlich-bestimmtes und sachlich-orientiertes Darstellungsmittel, kein Mittel der bloßen Mitteilung, auf der sich das gegenseitige Verständnis, im logischen Sinne des Wortes, erhebt. Je mehr man in den “Ursprung” der Sprache zurückzugehen sucht, um so mehr schwindet der bloße “Sachcharakter” ihrer Grundelemente. Herder sagt, daß das älteste Wörterbuch und die älteste Grammatik der Menschheit nichts anderes war als ein “tönendes Pantheon”  – ein Reich nicht sowohl von Dingen und Dingnamen, als vielmehr von belebten handelnden Wesen. Und das gleiche gilt für die ersten und primitivsten Werkzeuge. Auch sie gelten durchaus als “Gaben von oben” – als Geschenke eines Gottes oder Heilbringers. So werden sie selbst als göttlich verehrt: bei den Eweern in Süd-Togo gilt noch heute der Schmiedehammer als eine mächtige Gottheit, zu der gebetet wird und der Opfer dargebracht werden. Bis in die großen Kulturreligionen hinein lassen sich die Spuren dieser Empfindung und Anschauung verfolgen.1) Aber diese Scheu verliert sich, das mythische Dunkel, das das Werkzeug zunächst noch umgibt, lichtet sich allmählich in dem Maße, als der Mensch es nicht nur gebraucht, sondern als er es, in eben diesem Gebrauch selbst, fortdauernd umbildet. Mehr und mehr wird er sich jetzt als freier Herrscher im Reich der Werkzeuge bewußt: in der Macht des Werkzeugs gelangt er zugleich zu einer neuen Anschauung seiner selbst, als des Verwalters und Mehrers derselben. “Der Mensch erfährt und genießt nichts”, so sagt Goethe, “ohne sogleich produktiv zu werden. Dies ist die innerste Eigenschaft der menschlichen Natur. Ja, man kann ohne Übertreibung sagen, es sei die menschliche Natur selbst.” Diese Grundkraft des Menschen offenbart sich vielleicht nirgends so deutlich, als in der Sphäre des Werkzeugs: der Mensch wirkt mit ihm nur dadurch, daß er in irgendeinem, wenn auch anfangs noch so bescheidenem Maße auf dasselbe wirkt. Es wird ihm nicht nur Mittel zur Umgestaltung der Gegenstandswelt, sondern

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1) Näheres in meiner Schrift “Sprache und Mythos” (Studien der Bibl.Warburg VI), Leipzig 1925, S.48ff., 68f.


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