- 388 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (387)Nächste Seite (389) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



verschmelzen. Wir meinen damit, daß, solange die tönenden Inhalte als Geräusch-, Gesang- und Musikszene dargestellt werden, die Einheit der Bildwelt durchbrochen und der rhythmische Fluß der Bildreihe stocken wird.


Da bisher das übertonale Klangfarbenmelos weder gestaltet noch gehört wurde, wird es schwierig sein, wenn nicht gar unmöglich, beschreibend eine mehr als vage Vorstellung von ihm zu geben. Zumal die klingenden Phänomene an sich nur schwer in Worte zu übersetzen sind. Vorläufig ist das übertonale Klangfarbenmelos nur eine Fiktion aber eine notwendige. Nicht deshalb allein, weil der Tonfilm gewissermaßen eine neue melodische Gegenstandsordnung erfordert und zugleich die Möglichkeit mitbringt, ihre vorläufig noch ideelle Existenz zu realisieren. Sondern deshalb, weil die gesetzmäßige Abstammung dieser Idee bereits in der Musik selbst liegt. Wenn ein System, wie das der bisherigen Musik, ausgereift ist und seinen Höhepunkt erreicht hat, dann sind unfehlbar die Keime der folgenden Evolution schon vorbereitet. Ihr Zeichen ist dann die Destruktion, die Tendenz, die bisherige Wirklichkeit zu sprengen, um einer neuen Klangwirklichkeit Raum zu schaffen. In diesem Falle. Die Idee der Klangfarbenmelodie ist nicht von ungefähr. Schönberg hat schon in seiner Harmonielehre die Klangfarbenmelodien vorausgesagt. Schließlich ist die treibende Kraft, welche die musikalische Entwicklung der letzten Jahrzehnte wesentlich bestimmt hat, der Wille, die Klangfarbe zu verselbständigen. Von einem untergeordneten Ausdrucksmittel wird sie plötzlich so wichtig im Impressionismus (Debussy) und Expressionismus. Da in das bisherige Musiksystem die Klangfarbe als selbständiges Gestaltungselement und ihre rein qualitativen Beziehungen nicht einkalkuliert waren, führte die Tendenz, die Klangfarbe selbständig zu machen, naturgemäß zu einer Erweiterung und Sprengung der bisherigen musikalischen Formen. Letzte Etappe, wo noch versucht wird, mit den bisherigen Mitteln und Möglichkeiten der Musik die Klangfarbe zu einer selbständigen Geltung zu bringen, ist die der Atonalisierung. Der tonal kadenzierende Raum, die funktionalen Beziehungen der Töne zueinander, werden zugunsten der beziehungs- und rücksichtslosen Herausstellung des Klanges, der Farbe an sich, zerstört. Auf der einen Seite bedeutet Atonalität, die jeden Klang der zwölfstufigen Leiter zum Zentrum seiner eigenen Harmoniewelt werden läßt, ein Gewinn an neuen Kombinationsmöglichkeiten, an Farbe,


Erste Seite (1) Vorherige Seite (387)Nächste Seite (389) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 388 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik