- 383 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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versetzt. Einer solchen Aufnahme fehlt das, was uns erst zwingt, den Klang bildmäßig zu erleben. Die akustische Raumvorstellung entsteht erst durch das Zusammenwirken der direkten Schallwellen, die unmittelbar an unser Ohr gelangen, und der indirekten Schallwellen, die von den Wänden reflektiert werden, wie der Schallwirbel, die durch allerlei Einflüsse im Raume entstehen. Das Ohr gestattet uns dann, einen großen von einem kleinen Raum zu unterscheiden, festzustellen, aus welcher Richtung der Klang von diesem oder jenem Musikinstrument kommt. Die akustische Kamera vermag, indem sie den raum-tonal modifizierten Klang aus unserer Raum- und Zeitwirklichkeit herausschneidet, Wirkungen zu erzielen, die bisher nicht möglich waren. Also dort, wo unser Ohr sich zugleich mit dem Klange in ein und demselben Raume befindet. Statt vieler Worte ein Beispiel. Nehmen wir an, die Szene spiele in einem hallenden Innenraum. Die Fenster sind geöffnet, und im Freien soll ein Sänger singen. Im Theater oder in der Oper wird man selten oder nie den Eindruck haben, daß die Stimme wirklich aus der freien Landschaft kommt, weil sie eben in dem schwach gedämpften Bühnenhaus erklingt, also natürlich den Eindruck macht, als ob der Sänger etwa in einem großen Saale sänge. Tonfilmisch ist hier eine absolute Lösung möglich. Mit den Mitteln der Tonphotographie vermag man die vom Raum der fernen Landschaft tonal gefärbte Stimme als solche in unsern Raum zu transportieren, sie abzustufen gegen die Stimmen in dem hallenden Innenraum. Was uns an diesem Beispiel, das durch andere und bessere ersetzt werden kann, prinzipiell interessiert, ist, daß, ebenso wie im Film hier das gegenständlich Klingende aus seiner Realität herauswirkt, aus dem Zusammenhang, den ihre sichtbaren wie hörbaren Gegenstände in der realen Welt besitzen. Daß sich die sichtbaren wie hörbaren Gegenstände aus diesen realen Bindungen herausschneiden und ungeachtet der natürlichen Zusammenhänge zu einer neuen Gegenstandsordnung verbinden und ausbauen lassen, zu einer übervisuellen und übertonalen. Wir denken hier nicht an eine das Gegenständliche negierende Gestaltung. Wir meinen nur, daß die Technik beides ermöglicht, hier für das Akustische ausgesprochen: einen Grad der Freiheit in der Beherrschung des tönenden Materials, zugleich eine Eindringlichkeit des klingenden Materials im Gegenständlichen wie nie zuvor.


Nun genügt es nicht allein, daß man Ton und Raum zugleich aufnimmt. Es gilt vielmehr, den primären Klang im Sinne eines vorgegebenen


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