- 380 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Unser Verhalten gegenüber dem Klange ist damit grundlegend geändert. Wir selbst brauchen von dieser Veränderung nichts zu wissen Es kommt nämlich — wie schon angedeutet — für die ästhetische Wirkung darauf an, ob eine Stimme mit scharfen Grenzen in unserm Raume steht als ein gegen unser Hörgebiet hin abgeschlossenes Hörfeld, das wie ein Bild im Raume verschiebbar ist, oder ob unser Hörgebiet mit dem Raume zusammenfällt, wie in der Oper oder im Konzert, wo der Klang die durch die Orchesterrampe angedeutete Trennung beider Welten überflutet und seine Grenze bei uns im Raume findet. Die Trennung zwischen dem Raume, der dazu bestimmt ist, uns das akustische Erlebnis zu vermitteln — und dem Raume der Hörenden, ist hier vollkommen geworden. Der Klang ist uns nunmehr ebenso fern wie der lebendige Schauspieler im Filmbild. Mit andern Worten: Es wäre falsch, zu sagen: die Stimme besitzt eine Entfernung zu uns, wie im Konzertsaal, ausdrückbar etwa in Meterzahlen. Allein von einer tönend gewordenen Entfernung der Stimme zu ihrem räumlichen Bezugssystem läßt sich sprechen, von einer Perspektive innerhalb des mitschwingenden, umgrenzenden Raumbildes. Das heißt: Wir sind nicht mehr Teilnehmende, leibhaftig mit der Stimme Verbundene, sondern in einem Maße von ihr getrennt wie nie zuvor. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes Zuhörende, man könnte fast sagen Zuschauende. Der Schritt von der bisher an unsere Raum-Zeit und -Körperwirklichkeit gebundenen Darstellungsweise des Akustischen zu jener in der Form des Klang-Bildes ist der gleiche wie der von der räumlichen Bühne zur weißen Wand des Lichtspiels. Der Raumton verleiht dem Klange jenen Grad der Wirklichkeitsferne, den das Lichtspiel besitzt. Damit ist eine wesentliche Voraussetzung geschaffen, Klang- und Bildwelt organisch zu verbinden.


Daß wir bei jener Aufnahme, wo der Raum nicht mitklingt, bereit sind, uns die leibhaftige Gegenwart einer Stimme vorzutäuschen, zumal dann, wenn die sichtbare Ergänzung durch das Bild wegfällt und die Tonquelle im Raume nicht bewegt wird, wird von hier aus verständlich. Der sinnlichen Gegenwart des so durch die Maschine gegangenen Klanges fehlt jene objektiv hörbare Veränderung der anatomischen Struktur des primären Klanges durch den überlagerten Raum, die uns erst zwingt, den Klang bildmäßig zu erleben. Da bei jener Aufnahme das räumliche Bezugssystem nicht mitschwingt, wird die Übereinstimmung zwischen akustischer und optischer Perspektive


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