- 379 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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der Aufnahmeraum überlagert ist - dürfte uns die Illusion, daß jemand nebenan singe, schwer werden. Denn wir hören dann, wie die Musik in einem andern, fremden und scharf von uns geschiedenen Raume abläuft. Wir hören zugleich mit dem primären Klange den Raum ausklingen, der einmal zur Zeit der Aufnahme gewissermaßen aus vier Wänden bestand und ausmeßbar war, dessen Maße nunmehr tönend geworden sind. Was wir hören, ist der in ein klingendes Gehäuse eingefangene Stimm- und Instrumentalklang, ist irgendeine tönend gewordene perspektivische Beziehung des primären Klanges zu dem ihn umhüllenden Aufnahmeraum, ist Klang und Raum zugleich. Mit andern Worten: Die Musik ist eigentlich gar nicht bei uns im Raume, wenigstens nicht leibhaftig. Das heißt: die Musik ist nicht so bei uns im Raume, wie sie uns im Konzertsaal oder in der Oper gegenübertritt, wo wir trotz der angedeuteten Trennung durch die Orchesterrampe leibhaftig mit den Singenden und Spielenden verbunden sind, wo der Klang uns unmittelbar trifft.


Wenn ich sage, die Musik ist als Klang-Bild bei uns im Raume, oder wir erleben sie bildmäßig, so glaube ich damit das Wesen der raumtonalen Darstellungsweise zu treffen. Durch den mitschwingenden Raum wird dem primären Klange jene Abgrenzung gegen uns hin, jene räumliche Geschlossenheit in sich mitgegeben, die eine wesentliche Voraussetzung der bildhaften Darstellung überhaupt ist. Jede bildhafte Darstellung - wie Photo, Gemälde, Skulptur — beruht auf einer klaren Abgrenzung ihrer gegenständlichen Inhalte gegen jedes Außen. Ein Bild steht mit scharfen Grenzen in unserm Raume als ein gegen unser Blickgebiet hin abgeschlossenes Blickfeld, und die Einheit, welche sich in seiner Form ausdrückt, ist bedingt durch den vollen Zusammenschluß der das Sehfeld füllenden Gehalte. Damit soll gesagt werden, daß die Funktion der vollkommenen, äußeren Abriegelung und Umgrenzung hier für das Akustische der Raumton übernommen hat. Daß erst durch die raumtonale Tonphotographie jene räumliche Abgeschlossenheit des Klanges gegen uns hin erreicht wird, die uns berechtigt, von einer Darstellung des Akustischen in der Form eines Klang-Bildes zu sprechen. Klang-Bild bedeutet, daß der Klang nicht mehr nackt und bloß sozusagen bei uns im Raume ist, unmittelbar, leibhaftig und gegen uns hin geöffnet wie im Konzertsaal oder in der Oper. Klang-Bild bedeutet, daß der Klang uns objektiv gegenübersteht, abgeschlossen gegen uns hin, räumlich in sich geschlossen und wirklichkeitsfern.


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