- 378 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (377)Nächste Seite (379) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



eine ähnliche Rolle spielen wie das Wort-Ton-Problem in der bisherigen.


Die sachlichen Voraussetzungen, die für eine neue, der filmischen Gestaltung adäquate Deutung des Begriffes “Musik” und ihre Verwirklichung den Ansatz abgeben, dürften zunächst dort zu suchen sein, wo das eigentlich Neuartige beginnt, nämlich bei der Apparatur selbst, nicht so sehr bei ihrem technischen als ästhetischen Befund. Gestaltungsmittel ist die akustische Kamera. Zunächst: es gibt zwei Möglichkeiten der Tonphotographie. Die eine übermittelt dem Hörer den erzeugten Klang allein. Die andere reproduziert zugleich mit dem primären Klange die mitschwingende, in sich geschlossene Atmosphäre des Aufnahmeraumes. Technisch ausgedrückt: die in der akustischen Eigenart des Raumes begründeten Änderungen, Ergänzungen und Schattierungen des direkten Schalles werden mit übertragen. Diese Art Tonwiedergabe wird Raumton genannt.


Wir haben fast alle schon einmal bei der Wiedergabe einer Musik durch die Schallplatte oder einer Schallplatte durch den Funk den Eindruck gehabt, daß jemand nebenan spiele oder singe, trotzdem wir wußten, daß Stimme und Instrument nicht mehr aus der Mitte einer Seele, sondern aus einem Mechanismus bewegt lebendig werden. Zufällig oder bewußt waren bestimmte Vorbedingungen günstig erfüllt - der Wiedergabeapparat vielleicht in einem Nebenraume aufgestellt, die Lautstärke so abgemessen, daß sie eben den natürlichen Bedingungen entsprach. Wie auch die Voraussetzungen im einzelnen aussahen, sie waren so, daß sie die Illusion, als seien Stimme und Instrument leibhaftig bei uns im Raume, begünstigten. Gewiß. Die Illusion wird uns leicht gemacht. Der Klang ist an und für sich eine weit körperlichere Erscheinung als der Körper selbst. Die Stimme ist in ihrer Wirkung unmittelbarer als Mimik und Gestik. Denn sie berührt uns körperlich, indem sie uns anspricht. Zudem löst der Gehörsinn die visuelle Vorstellungskraft weit schneller und stärker aus als jeder andere Sinn. Die Bereitwilligkeit, uns bei der Wiedergabe einer photographierten Musik ihre leibhaftige Gegenwart vorzutäuschen, findet hiermit immerhin ihre Erklärung. Der eigentliche Grund liegt bei der Aufnahme selbst. In allen diesen Fällen, wo wir die Stimme als zu unserer Wirklichkeit gehörend erlebten, wurde uns durch den Wiedergabeapparat einzig und allein die Stimme übermittelt. Bei der raumtonalen Darstellung des Akustischen dagegen - also dann, wenn einer Stimme


Erste Seite (1) Vorherige Seite (377)Nächste Seite (379) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 378 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik