- 377 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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das Problem dar, als Versuch, die Formmöglichkeiten des Films und Tonfilms in den Entwicklungsgang der Kunst überhaupt einzuordnen - als Versuch, die Probleme, welche die Künste seit Beginn der Romantik aus sich entwickelt und die zur Destruktion ihrer Formen führten, auf Grund der neuen Möglichkeiten zu einer neuen Lösung zu bringen. Das heißt nicht, die Stilprinzipe bisheriger Kunst äußerlich auf den Film und Tonfilm übertragen, von ihnen nur das Aussehen von Kunst verlangen oder den Film vom Inhalt her revolutionieren, so wie es bisher geschieht. Das bedeutet eine strenge Scheidung beider Formenwelten, eine grundsätzlich neue Stellungnahme gegenüber dem Problem “Kunst” überhaupt. Von hier aus gesehen, bezeichnen Film und Tonfilm nur die Formen, in denen die Kunst weiterhin sichtbar und hörbar fortleben wird. Die augenblickliche Situation hat hier wie dort das geistige Gewissen gegen sich. Beide — handwerklich produzierende Künste wie technisch produzierende bewegen sich am äußersten Rande ihrer Wirklichkeit.


Die Tendenz Tonfilm und Musik zu einer organischen Einheit zu verschmelzen, wird heute durchkreuzt vom Bedarf der herrschenden Gesellschaft. So ist der Tonfilm heute noch Außenbezirk der Musik. Morgen wird er ihr organisch eingefügt sein. Heute existiert der Tonfilm noch als Kunstgattung mit einer eigenen Problematik neben der Musik. Morgen wird seine Problematik nicht mehr eine eigene sein, sondern die der Musik überhaupt. Man unterschätze das Problem nicht. Mit einer Personalunion wird die organische Verbindung von Musik und Technik ebensowenig hergestellt sein wie mit einem Tonfilm ˆ la Dreigroschenoper. Es bedeutet auch mehr als ein Stilwandel, sagen wir von der Sachlichkeit zu einer neuen Romantik. Es geht um die kommende Musik und die Gestaltung ihrer Grundlagen, darüber hinaus um die kommende Kunst überhaupt, soweit ihr Material das Sichtbare und Hörbare ist. Deshalb wird der Fortschritt, verglichen mit den früheren Jahrhunderten, so groß sein, weil gänzlich neue Faktoren Träger dieser Idee sind, weil die Umschaltung mehr ist als ein Stilwandel im Rahmen der bisherigen Grundform “Musik”, wie z.B. der von der Klassik zur Romantik, weil der Beginn auf einer gänzlich neuen Ebene einsetzt, zu der es keine Brücke von dem jetzigen künstlerischen Handwerk aus gibt. Erst eine grundsätzlich neue Verkörperung der Idee “Musik” wird Wesen und Erscheinung wieder zu einer Einheit binden. Das Ton-Bild-Problem wird in der kommenden Musik


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