- 376 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Inzwischen ist die Maschine mächtig geworden. Funk und Tonfilm sind in den Vordergrund der Gegenwart gerückt, und die Musik hat Tendenz und Zielsetzung geändert. Sie gibt sich “sachlich“ und diesseitig. Das Künstlerische, bis dahin Gegenbegriff des Bürgerlichen, ist zu einem bürgerlichen und konservativen Begriff geworden. Das heißt hier: die Musik versucht, von außen den Anschluß an die technisch produzierenden Künste zu gewinnen. Aus ökonomischen Gründen. Weil es sich herumgesprochen hat, daß bei der Maschine die Möglichkeit liegt, die Massen zu organisieren, das Vermögen breitester Resonanz, der sichere Erfolg in wirtschaftlicher Hinsicht. Das Theorem “Gebrauchsmusik”, das dem Ausdruck gibt, ist als Ideologie leicht zu durchschauen. Denn die unbegrenzte Bedeutung, die hier dem “Gebrauch” zugeschrieben wird, ist aus dem begrenzten Wert, der ihm zukommt, nicht abzuleiten. Davon abgesehen. Die Musik entwirft ihre Produktion von heute keineswegs auf die Verflechtungen einer zukünftigen Gemeinschaft, wie man etwa annehmen könnte, da sie sich als “Gebrauchsmusik” revolutionär gibt. Ihre Produktion ist abgestimmt auf den Bedarf der herrschenden Gesellschaft, die gewohnt ist, das Bewußtsein in anstrengungslosen Bildern und Klängen auszulöschen. Der gedankenlose Konsum verzögert die bevorstehende Änderung, den Fortschritt. Die Musik geht hier konform mit den technischen Künsten, die bewußt auf Unterhaltung und Zerstreuung eingestellt sind — aus Mangel an füllenden Problemen und aus geschäftlichen Motiven. Durchschaut man die Ideologie “Gebrauchsmusik”, so ist sie nur geistiges Ornament, um von dem nackten Existenzkampf, den die Musik heute führt, abzulenken. Um mit den technischen Künsten konkurrieren zu können, fehlen letzten Endes ihrer jetzigen Form die sachlichen Voraussetzungen. Wie gering man auch den Wert der technischen Künste heute einschätzen mag, dem Realitätsgrade nach stehen sie weit über den handwerklich produzierenden, nicht nur in soziologischer Hinsicht. Für die Verwirklichung neuer künstlerischer Vorstellungen ist die Technik ebenso voraussetzungsgebend. Daß der Fortschritt der Musik, der Kunst überhaupt mitten durch die Maschine geht, dürfte gewiß sein. Das Problem ist: die Kunst von der handwerklichen Produktionsmethode auf die technische hin umzuschalten. Schließlich gehen alle Versuche, den Film einem gehobenen Leben zuzuführen, dahin, ihn, der noch nicht Kunst ist, an das Gebiet der Kunst anzugliedern. Von dieser Seite aus gesehen, stellt sich


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