- 375 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (374)Nächste Seite (376) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



der Montage, als selbständiges, mit der visuellen Form gepaartes Element, wird unbedingt neue Mittel von ungeheurer Kraft zur Lösung der verwickeltesten Aufgaben bringen, die uns heute noch, bei unsern unvollkommenen Methoden, die lediglich auf visuellen Formen beruhen, als unüberwindlich erscheinen.” Hier ungefähr liegt die Bedeutung der Erfindung “Tonfilm” für die Weiterentwicklung des Films, daß erst jetzt die Künste, deren Material das Akustische ist, befähigt sind, ihr Material mit dem gleichen Grade der Freiheit zu gestalten, den die Komposition des Sichtbaren beansprucht, daß Musik, Literatur und Dichtung des Wortes, die bisher außerhalb der “filmischen” Gestaltung bleiben mußten, nunmehr die Möglichkeit gegeben ist, sich in eine innere Beziehung zum Optischen zu setzen.


Wir stehen mit der Forderung einer neuen Musikgestalt ebensowenig auf dem Boden der Utopie wie mit der Anschauung von einer neuen und “absoluten“ Filmgestaltung. Denn einmal sind für das Akustische neue Faktoren Träger dieser Idee, wie Tonphotographie und elektrische Tonerzeugung. Zwei Verfahren, deren Leistungseffekt auf der Umwandlung akustischer Energien in elektrische bezugsweise auf der Umwandlung elektrischer Energien in akustische beruht. Maschinen, die mächtig sind durch die Form, die eigenartige Beherrschung der Naturgesetzlichkeit, eine neue Zielsetzung, deren Wunder zutiefst in den Geheimnissen der Wissenschaft verborgen liegt. Zum andern — was wesentlicher ist — wird von seiten der Musik selbst die reale Voraussetzung für eine neue Deutung des Begriffes “Musik” gegeben. Sie befindet sich ebenso wie die andern Gebiete unserer Kultur in einer Krise. Die Mittel und Möglichkeiten ihrer klanglichen Entfaltung sind problematisch geworden. Aus einem gesteigerten Ausdrucksbedürfnis. Das Streben, die Ausdrucksmittel zu vermehren, führte zwangsläufig zu einer die Bestandteile des bisherigen Musiksystems weitgehend sprengenden Entwicklung. Wesentliche Etappen auf diesem Wege, der mit der Romantik sichtbar seinen Anfang nahm, waren unendliche Melodie, atonale und mechanische Musik. Hier, wo aus der leidenschaftlichen Hingabe an das Grenzenlose der eigenen Seele, des eigenen Geistes die Mittel und Möglichkeiten der Musik als zu eng befunden wurden, war der Anschluß an die Maschine, die Außenwendung ist, Bereicherung und unbegrenzte Möglichkeit, von innen gegeben. 1)

__________

1) Busoni: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst.


Erste Seite (1) Vorherige Seite (374)Nächste Seite (376) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 375 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik