- 374 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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gegen sie weitertreiben soll. Als Geräusch-, Gesang und Musikszene muß der Ton die Verwirklichung der neuen Filmgestaltung verhindern, die einesteils aus Rücksicht auf ihn eingeführt wurde, andernteils, um die formale Erstarrung der filmischen Technik zu überwinden.


Die Auffassung von der Gestaltung des Akustischen muß sich mitändern. Schließlich würde man das Leistungsvermögen der technischen Erfindung unterschätzen. Die Erfindung “Tonfilm“ bedeutet nicht allein, daß die Schattenwesen singen, sprechen und lärmen können, sondern daß es möglich wird, das Akustische neu zu gestalten und auf Grund der neuen Formmöglichkeiten in eine Beziehung zum Optischen zu bringen, die mehr ist als reproduktiv und natürliche Ergänzung. Man kann diesen Gedanken auch so ausdrücken. Die bisherigen Mittel und Möglichkeiten der Musik reichen allenfalls hin, um das Bild zu begleiten, um sich selbst als schon vorgeformte Musik in Szene zu setzen und regiemäßig behandeln zu lassen. Sie genügen aber nicht, um den Klang zu einem wesentlichen Bestandteil der filmischen Komposition zu machen und kontrapunktisch der stummen Musik der reinen sichtbaren Komposition einzufügen, um Bild und Ton zu einer Einheit zu verschmelzen. Das Filmbild verlangt das weit geöffnete Orchester, welches den Klang der Welt und neue Gestaltungsmöglichkeiten —  denn jede quantitative Erweiterung zieht eine qualitative Veränderung nach sich — in sich verborgen trägt, soll die Komposition die tönenden Anlässe der Bildwelt aufgreifen und austönen, über sie hinweggehen. Man muß sich natürlich von den Vorstellungen, unter die man bisher die “Musik” brachte, freimachen. Die Verwirklichung eines neuen Klangideals, dessen Losgelöstheit von dem bisherigen Begriff “Musik” vollkommen sein wird, das nicht mehr abgreifbar auf der Tastatur vorgegeben und auf die Maße des Menschen und seine körperliche Dimension hin erfunden, sondern von vornherein auf die Möglichkeiten des rotierenden, tönenden Filmbandes hin entworfen ist, wird Angelegenheit der Musik selbst sein.


Ebenso wie in das Gebiet der Musik greift die Erfindung Tonfilm in das der Literatur und Dichtung des Wortes ein. “Die erste Sackgasse“, so sagt S. M. S. Eisenstein, “ist der Filmtitel und alle hilflosen Versuche, ihn in die Komposition der Montage als Teil der Montage einzubeziehen. Die zweite Sackgasse sind die erklärenden Teile, zum Beispiel allgemeine Pläne, die die Komposition der Montage nur erschweren und das Tempo verlangsamen. Der Ton als neues Element


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