- 370 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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gehemmt erscheint im Gegensatz zum stummen Film von heute, so ist das weiter nicht verwunderlich. Nur dürfte die Vorstellung, die schon in einer bunteren und schneller wechselnden Szenenanordnung das Ideal “Tonfilm” hundertprozentig verwirklicht sieht, nicht mehr ausreichen. Die visuelle Kontinuität des Films, die der Ton durchbricht wird dadurch, daß man den optischen und akustischen Szenenwechsel flüssiger betreibt, nicht wiederhergestellt. Die visuelle Kontinuität des Films von heute ist nur Schein. Ob die Szene breit oder weniger breit ausgespielt, schnell oder weniger schnell gewechselt, in mehr oder weniger viele Details aufgelöst wird, ob in ein oder demselben Bilde sich das Blickfeld des Apparates ändert, bleibt sich gleich, solange die sichtbaren Inhalte selbst gleich statisch hingestellt werden wie die tönenden, — diese als Geräusch-, Gesang-, Dialog- und Musikszenen. Zwar übersehen wir im stummen Film die Stellen, wo der rhythmische Fluß der Bilderreihe unterbrochen wird, während der Ton uns die Lücken deutlich anzeigt. Inhalt, Leitfaden, Zwischentext und der nur funktionär angewandte Rhythmus garantieren immerhin einen ungestörten Ablauf der Bilderreihe. Wesentlich ist, daß die visuelle Kontinuität nicht von innen her geformt ist.


Film und Tonfilm befinden sich noch in der Epoche der automatischen Ausnützung bisheriger Kunst. Auf der einen Seite schafft die moderne Technik Raum für die Verwirklichung neuer Formmöglichkeiten. Sie macht das künstlerische Denken unabhängiger von den natürlichen Bedingungen — im Vergleich zu den handwerklich produzierenden Künsten, die ihre Gestalt aus zeitlich früher gelegenen Voraussetzungen anderer Art herleiten. Damit verbindet sich durchweg aber ein Unterschied des Geistes. Auf der andern Seite steht das künstlerische Denken, das sich nicht gewandelt hat, wenigstens nicht grundlegend, sondern im wesentlichen seine Vorstellungen von der bisherigen Kunst bezieht, ihrer Verwirklichung im Wege. Das so beschaffene Denken ist zu schwach, um die neuen Ausdrucksmittel gegen innere Zusammenhänge formaler Art hin durchscheinend zu machen. So bleiben die neuen technischen Möglichkeiten selbst unbewältigt zurück, und das so beschaffene Denken bleibt ihnen äußerlich zugeordnet.


Diese Epoche zu überwinden, ist ein geistiger Fortschritt. Es geht um mehr als um die Erfindung neuer photographischer Tricks. Das Problem, das sich heute stellt, ist nicht mehr das Problem der Techniken. Es geht um die Erneuerung der filmischen Technik aus der


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