- 369 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Bestandteilen. Der Ton so angewandt, enthüllt. Enthüllt weit mehr und eindringlicher, als dies der pantomimische Film je vermochte, die Unzulänglichkeit der bisherigen Gestaltungsweise überhaupt. Ihre wahre Natur und Herkunft wird sichtbar. Immerhin bedeutet es einen Fortschritt, wenn nun gleichsam öffentlich dargetan wird, daß der Film in seiner jetzigen Gestalt, sei es in stummer oder tönender Fassung, keine Zukunft hat. Die vorläufige Mission des Tonfilms wäre demnach, offenbar zu machen, daß der heutigen Produktion eine ungenügende Vorstellung vom Wesen der filmischen Form überhaupt zugrunde liegt.


Im Grunde steht der Film noch in jener Zeit, da Film “lebende Photographie” war. Die Kamera hielt die Szene als Ganzes auf dem Filmband fest, und die so aufgenommenen Handlungsbilder wurden durch ziemlich ausgedehnte Titel miteinander verbunden. Gewiß. Man hat im letzten Jahrzehnt Fortschritte gemacht. Die Zwischentexte sind kürzer geworden. Die Kamera wurde “entfesselt” und das Objektiv bis auf seine äußersten Möglichkeiten hin erprobt. Man hat aber vergessen, die künstlerische Problemstellung den neuen Maßen entsprechend zu ändern. Nur technisch ist man seitdem weitergekommen. Der Film ist sozusagen komfortabler geworden. Entscheidend ist: die Kamera verhält sich heute genau so passiv und reproduktiv wie damals. Die häufige Anwendung der Großaufnahme und der andern technischen Tricks, die Auflösung der Szene in Details und interessante Einstellungen, wie das schnellere Tempo, in dem heute solche photographisch registrierten Vorgänge aneinandergereiht werden, ändern daran nichts. “Denn die Variationen und Tricks der Kamera verstreuen sich auf eine Vielheit von verschiedenen Motiven, sind niemals auf das gleiche Objekt bezogen.” Ausgang ist heute wie damals das statisch empfundene Einzelbild, welches nach Abfolge der Affektationen und den Absichten der Handlung mit dem ihm nächstfolgenden verbunden wird, im Sinne einer psychologistischen Atomistik. Und der Rhythmus wird eben nur funktionär angewandt zur Unterstützung des Handlungsausdrucks, etwa in der Absicht, eine Steigerung des Bildwechseltempos in Szenen erhöhter Spannung zu erzielen. Der Rhythmus dominiert nicht als eigenmächtiges Gestaltungsprinzip, obgleich die Komposition aller filmischen Gestaltungselemente im formell Technischen ihm unterliegt.


Wenn der Tonfilm uns lebhaft an die Frühzeiten des Films erinnert, da in ihm die Szene breit ausgespielt wird und die filmische Bewegtheit


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