- 368 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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sichtbar artikuliert wird, auseinander. Der fließende Bildablauf zerfällt. Der Wechsel der Einstellungen erscheint aneinandergereiht, und ihr zeitliches Nacheinander nimmt bedenklich den Charakter eines räumlichen Nebeneinanders an. Das Tempo der Handlung stockt. Der Ton verbreitert die Szene und belastet sie mit den zufälligen Proportionen des Dialogs und der Musik, deren Maße andern und natürlichen Bedingungen entstammen. Er verhindert so die Zusammenfassung der sichtbaren Elemente zu einem neuen Bildraume, zu einer neuen filmischen Zeit. Weiterhin öffnet der Ton die Bildwelt so gegen uns hin, daß der Bildrand keinen Rahmen mehr, sondern die Begrenzung eines Theaterraumes darstellt. Der Tonfilm nähert sich so dem stationären Bühnendrama, der stationären Oper. Am Ende ist Tonfilm nicht mehr als das verbesserte Bühnenbild der Zukunft, installiert mit den modernsten Vermittlungsverfahren der Elektroakustik und Optik. Ein reibungsloser, schneller Szenenwechsel wird garantiert und übertragen auf den Rundfunk (Fernsehen), eine Reichweite wie nie zuvor. Wir hätten dann das technisch verbesserte Drama, die technisch verbesserte Oper. Die tonfilmische Form so anzuwenden ist heute üblich.


Ein Grund, den Ton an sich dafür verantwortlich zu machen — wie die Opposition gern wissen möchte - liegt wohl kaum vor. Daß der Zusatz des Tones den Rückfall in primitive und natürliche Zustände erzeugen muß, verrät nur, daß sein jetziger Gebrauch sozusagen unrichtig ist. Der Einwand könnte sich nur gegen die augenblickliche Form des Tonfilms richten, welche ebenso wie die des stummen Films die Zeichen der Erstarrung untrüglich in sich trägt. Seine Anwendung muß gewissermaßen falsch bleiben und den störenden Wirkungscharakter behalten, solange der stumme Film selbst, an den man den Ton einfach angeheftet hat, nicht mehr ist als eine in weitere und beweglichere Dimensionen übertragene Abwandlung des Theaters. Denn die Maschine arbeitet jetzt vollkommener. Und je vollkommener sie arbeitet, desto echter und vollständiger reproduziert sie die Natur und die Leistungen bisheriger Kunst. Das heißt: der Ton macht die an sich schon so angelegte und nur auf die technische Realität hin umkomponierte Theaterszene komplett im Sinne ihrer Echtheit.


Mit andern Worten. Man ist dazu übergegangen — neben einer Synchronisierung der Formen: Revue, Operette und Oper — den Ton auf den heute üblichen Spielfilm zu übertragen, der sich als photographiertes Theater darstellt, untermischt mit zahlreichen technischen


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