- 367 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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nicht zur Folge. In seiner heutigen Form spiegelt der Tonfilm die gegenwärtig schiefe Filmsituation ebenso präzise wider wie der stumme Film. Er weist sich ebenso wie der stumme Film als Erzeugnis einer suchenden Übergangszeit aus - keineswegs als ihr Retter.


Mit andern Worten. Der stumme Film ist unstreitig erstarrt. Diese Tatsache aber so zu verstehen, als seien die technischen Möglichkeiten und Tricks, mit denen man einen überrealistischen Bildeindruck zu erzeugen versucht, heute alle ausprobiert und aufgebraucht, als sei der stumme Film an und für sich am Ende, ist falsch. Die Technik ihrer Anwendung ist erstarrt. Das künstlerische Denken ist festgefahren. Allein das so verfahrene und in sich begrenzte Denken hindert, die Mittel anders und neu zu entfalten. Gewiß. Man möchte den formal erstarrten Film vitalisieren. Die Umschaltung des Denkens von der bloßen Existenz des Tonfilms abhängig zu machen, ist gleich unberechtigt. Wie sollte auch eine Änderung geistiger Art von der Erfindung des tönenden Filmbandes und der Synchronisierung zu erwarten sein? Die Erfinder hatten bestimmt keine künstlerischen, sondern nur reproduktive Absichten. Sie wollten die Illusion des Natürlichen steigern. Daß die absolut erreichte Darstellung der Realität mit Kunst nur wenig zu tun hat, ist bekannt. Wesentlich bleibt, wie man das tönende und sichtbare Material auf Grund der vorgegebenen technischen Möglichkeiten komponiert. Allein hier liegt der Ansatz, der zu einer Überwindung der Krise führen könnte. Die Krise ist eine geistige. Ob stumm oder tönend, ob er sprechen, singen oder lärmen soll, ist nur eine Frage der Besetzung und Instrumentierung gleichsam; bestimmt sich rein aus dem Ausdrucksbedürfnis. Sie ist von untergeordneter Bedeutung gegenüber der zentralen künstlerischen Einstellung, die in Bild und Ton sich gleicherweise manifestiert.


Die Opposition, die gerade aus der Stummheit — wir fügen hinzu, aus seiner farblosen und zweidimensionalflächigen Form — die besonderen Reize des filmischen Stils zieht, sieht naturgemäß im Ton an und für sich das Übel. Sie begeht den gleichen Denkfehler. Wenn man den Tonfilm von heute meint, scheint ihre Kritik sehr berechtigt zu sein. Verglichen mit dem jetzigen stummen Film ist ein Rückfall in Zustände, die lebhaft an die Frühzeiten des Kinos erinnern, nicht zu verkennen.


Was bisher in stummer Version ungestörter Zusammenhang und in sich geschlossene Welt zu sein schien, reißt nunmehr, da der Ton


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