- 366 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (365)Nächste Seite (367) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



Wie alle Gebiete unserer Kultur, - so besitzt auch der Film seine Spezialkrise, die wiederum der besondere Fall einer allgemeinen Tatsache ist. Man spricht in den Kreisen der Filmindustrie von einer “Qualitätskrise”. Der Wunsch, diesen Zustand zu beenden, ist groß - schon aus geschäftlichen Rücksichten. E.A.Dupont gab diesen Gedanken in einem Interview folgende Fassung: “Wir stehen an einer neuen Wende...Der stumme Film ist festgefahren, die Form ist erschöpft...” Die “klassische Ära des Films“ — er nennt die Werke “Letzte Mann“, “Varieté“, “Walzertraum”, “Metropolis”, “Faust” - ist zu Ende. “Das Heute ist Epigonentum. Wir können nur noch Nuancen bessern, ein bißchen weniger oder mehr gehaltvolle Filme schaffen, über die Grenzen des stummen Films können wir nicht hinaus. - In dieser Leerlaufzeit erscheint der Tonfilm als Retter...”


Gewiß. Der Mensch neigt niemals mehr zur Endgültigkeit als in Zeiten des Übergangs. Und daß man in Zeiten, da alles fließt, sich künstlich einen festen Punkt schafft - bis auch dieser wieder ins Gleiten kommt —, ist nur zu natürlich. Daß man den Tonfilm zum Anlaß nimmt und mit ihm die neue Ära beginnen läßt, dem ist eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen. Denn die Entwicklung einer Kunst, deren Produktionsmethode durch die Schaltung eines mechanischen Gliedes zwischen Idee und ihre Verkörperung gekennzeichnet wird, hängt innig zusammen mit den Fortschritten auf dem Gebiete einer ihr zugehörigen maschinellen Technik. Doch nur soweit — und nur soweit reicht die Berechtigung — als die Maschine rein die Vorbedingungen abgibt für neue Formmöglichkeiten und ihre Realisierung. Den geistigen Überbau über jener puren technischen Existenz, von dem erst die technischen Möglichkeiten Ordnung, Form und ihren besonderen künstlerischen Sinn erhalten, liefert die Technik bekanntlich nicht mit. Den liefert das Sachgebiet “Kunst”. Entscheidend bleibt hier — wenn die Erfindung “Tonfilm” für die Entwicklung des Films etwas bedeuten soll —, inwieweit der tönende Film eine Änderung der bisherigen künstlerischen Denk- und Vorstellungsweise nach sich zieht. Dieser Wandel müßte sich im stummen und tönenden Film gleicherweise manifestieren, müßte sich in der Komposition des Sichtbaren wie Hörbaren im gleichen Maße offenbaren. Soviel ist heute schon gewiß — und wir können uns allabendlich in den Lichtspielhäusern von dieser Tatsache überzeugen -, die Erfindung “Tonfilm” hatte eine Änderung der bisherigen künstlerischen Denk- und Vorstellungsweise


Erste Seite (1) Vorherige Seite (365)Nächste Seite (367) Letzte Seite (464)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 366 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik