- 36 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


läßt es nicht zu einem “Erfassen”, zu einem Aufbau in der Region des reinen Anschauens und in der Region des Denkens kommen. Im Werkzeug und seinem Gebrauch hingegen wird gewissermaßen zum ersten Male das erstrebte Ziel in die Ferne gerückt. Statt wie gebannt auf dieses Ziel hinzusehen, lernt der Mensch von ihm “abzusehen” – und eben dieses Absehen wird zum Mittel und zur Bedingung seiner Erreichung. Diese Form des Sehens ist es erst, die das “absichtliche” Tun des Menschen von dem tierischen Instinkt scheidet. Die “Ab–Sicht” begründet die “Voraus-Sicht”; begründet die Möglichkeit, statt auf einen unmittelbar gegebenen Sinnenreiz hin zu handeln, die Zielbestimmung auf ein räumlich Abwesendes und zeitlich Entferntes zu richten. Nicht weil das Tier an körperlicher Geschicklichkeit hinter den Menschen zurücksteht, sondern weil ihm diese eigentümliche Blickrichtung versagt ist, gibt es im Bereich tierischen Daseins keinen eigentlichen Werkzeuggebrauch.1) Und diese Blickrichtung ist es auch, in der erst der Gedanke der kausalen Verknüpfung im strengen und eigentlichen Sinne ersteht. Faßt man freilich den Begriff der Kausalität so locker und lose, daß man ihn überall anwendbar findet, wo Ähnliches oder räumlich und zeitlich Benachbartes durch bloße “Assoziation” verbunden wird – so muß man den Ursprung dieses Begriffs weit früher ansetzen. Es ist kein Zweifel, daß schon die mythische Welt und daß schon das rein magische Wirken von derlei “Assoziationen” erfüllt und durch sie beherrscht ist. Frazer verfährt daher konsequent, wenn er, auf Grund dieser Auffassung der Kausalität, schon die Welt der Magie dem Prinzip der Kausalität unterstellt – wenn er in der Magie die eigentlichen Anfänge der “Experimentalphysik” sieht. 2) Aber ein anderes Bild und ein anderes Urteil über die geistigen Zusammenhänge und die geistigen Differenzen zwischen den

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1) Näheres hierüber s. Philos. der symbol. Formen III, 317 ff.

2) “Whereever sympathetic magic occurs in its pure unadulterated form, it assumes that in nature one event follows another necessary and invariably without the intervention of any spiritual or personal agency. Thus its fundamental conception is identical with that of modern science. The magician does not doubt that the same causes will always produce the same effects. Thus the analogy between the magical and the scientific conceptions of the world is close. In both of them the succession of events is perfectly regular and certain, being determinated by immutable laws, the operation of which can be foreseen and calculated precisely; the elements of caprice, of chance and of accident are banished from the course of nature” (Frazer, The Magic Art, I, 22of.)


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