- 35 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


Man braucht, um sich dies zu vergegenwärtigen, nicht auf die vollständige Entfaltung und auf die gegenwärtige Gestaltung der Technik hinzublicken; sondern fast noch deutlicher als in all den Wunderwerken der modernen Technik stellt sich das Grundverhältnis in den ganz schlichten und unscheinbaren Phänomenen, in den ersten und einfachsten Anfängen des Werkzeuggebrauchs dar. Schon hier dringen wir — rein philosophisch betrachtet — in den Kern und Mittelpunkt des Problems ein. Denn der Abstand zwischen jeglichem noch so ungefügen und unvollkommenen Werkzeug, dessen sich der Mensch bedient, und den höchsten Erzeugnissen und Errungenschaften technischen Schaffens mag in rein inhaltlicher Hinsicht noch so gewaltig erscheinen: er ist dennoch, wenn man lediglich das Prinzip des Handelns ins Auge faßt, nicht größer, sondern geringer als die Kluft, die die erste Erfindung und den ersten Gebrauch des rohesten Werkzeugs vom bloß tierischen Verhalten trennt. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß in dem Übergang zum ersten Werkzeug nicht nur der Keim zu einer neuen Weltbeherrschung liegt, sondern daß hier auch eine Weltwende der Erkenntnis einsetzt. In der Weise des mittelbaren Handelns, die jetzt gewonnen ist, gründet und festigt sich erst jene Art von Mittelbarkeit, die zum Wesen des Denkens gehört. Alles Denken ist seiner reinen logischen Form nach mittelbar — ist auf die Entdeckung und Gewinnung von Mittelgliedern angewiesen, die den Anfang und das Ende, den Obersatz und den Schlußsatz einer Schlußkette miteinander verknüpfen. Das Werkzeug erfüllt die gleiche Funktion, die sich hier in der Sphäre des Logischen darstellt, in der gegenständlichen Sphäre: es ist gleichsam der in gegenständlicher Anschauung, nicht im bloßen Denken erfaßte “terminus medius”. Es stellt sich zwischen den ersten Ansatz des Willens und das Ziel — und es gestattet in dieser Zwischenstellung erst, beide voneinander zu sondern und in die gehörige Distanz zu setzen. Solange der Mensch sich zur Erreichung seiner Zwecke lediglich seiner Gliedmaßen, seiner körperlichen “Organe” bedient, ist solche Distanzierung noch nicht erreicht. Er wirkt alsdann zwar auf seine Umwelt — aber von diesem Wirken selbst zum Wissen des Wirkens ist noch ein weiter Abstand. Wo alles Tun des Menschen darin aufgeht, die Welt zu ergreifen, da kann er sie noch nicht als solche begreifen — da kann er sie noch nicht als eine Welt von Gegenständen in objektiver Gestalt vor sich hinstellen. Das triebhafte In-Besitz-Nehmen, das unmittelbare leibliche Fassen


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