- 356 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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verwiesen werden. Sie müßte zweitens zu hören sein, wo und wann der Film zu sehen ist, zu dem sie gehört. Und sie müßte drittens, unabänderlich nach dem Willen ihres Autors, allemal, in allen Theater, so zu hören sein, nämlich gespielt werden, wie sie in der Stunde der Uraufführung Gestalt, gültige und endgültige Gestalt, gewonnen hat. Drei Grundforderungen, so alt wie ihre Nichterfüllung, Grundgesetz, das der kommende Musikfilm sozusagen als kategorischen Imperativ in sich trägt, über Nacht ist es erfüllbar geworden - im Tonfilm. Mehr als nur erfüllbar; die Nichterfüllung, auch nur partielle Nichterfüllung würde hier zur Unmöglichkeit...Noch sind wir nicht so weit; die Geschichte des Films bleibt sich treu.


Tonfilm — Filmton — Filmmusik — Musikfilm, die Assoziationen überstürzen sich. Noch sind wir nicht soweit; einstweilen herrscht Verwirrung und lähmende Ungewißheit, ein enervierender Zustand des Abwartens, wohin wir blicken, der gehemmten Bereitschaft, der halben Umstellung und in den Theatern des zögernden Orchesterabbaus. Für Musikexperimente sind Theater und Produktion, das alte Theater und die “stumme” Produktion, weniger denn je zu haben. Aber die Tonfilmindustrie hat zur Zeit andere Sorgen; daß mit einem Schlag alle Forderungen des Musikers erfüllbar, die Kunstform “Musikfilm” zum erstenmal realisierbar geworden, ist ihre letzte. Die Musik kann warten (zwischen zwei Stühlen).


Unter den Fragen der Musik interessiert den Tonfilm vorläufig nur die technische: wie die Musik klingt; wie sie herauskommt; und, begreiflicherweise, die geschäftliche: wie die Neuerung der Musikerersparnis vom Publikum aufgenommen wird. Und das neue Fremdwort “Synchronisierung” tut seinen Dienst. Was für Musik verwendet wurde, ob neukomponierte oder nach altem Rezept zusammengestellte, ist gleichgültig. Oder doch nicht? Schon regen sich in Interessentenkreisen verdächtige Bemühungen, die alten Illustrationsmethoden in den Tonfilm einzuschmuggeln — zumal die Verleger, die für ihr Geschäft der Musikvervielfältigung und -verbreitung die Konkurrenzdrohung des Tonfilms spüren, haben ein verständliches Interesse an der Verwertung vorhandener Musikstücke —, die alten Illustrationsmethoden, für die hier jede Berechtigung oder Rechtfertigung fehlt; denn gerade von der ewigen Not- und Zwangslage des Theaterbetriebs, dem wir ihren Segen verdanken, macht der Tonfilm uns frei.


Aber für die Musiker geht es jetzt nicht vor allem um die Frage:


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