- 352 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Theater nach künstlerischem Rang und Anspruch, Schichtung der Besucherschaft nach Theatern — solange alldies in der Filmwelt kaum als Wünschbarkeit zugestanden ist, so lange muß in jede, nicht nur in jede geschäftliche Kalkulation das gesamte Publikum als einstweilen unteilbare Einheit eingesetzt werden. Und so lange stellt das Ganze der Filmproduktion sich dem Musiker, noch undifferenziert, als eine große, unabsehbar weite Ebene dar, eine sachte sich neigende Ebene freilich, sich senkend bis in jene Niederungen, in denen endlich der Musiker nichts mehr zu suchen hat. Den Schundfilm auszurotten, wäre so wenig seines Amtes wie, ihn zu retten. Aber vielleicht gar würde jene Gliederung des Filmlebens, deren Mangel heute ein Korrelat seiner völligen Industrialisierung bildet, sich mit Hilfe des Musikers automatisch durchsetzen: Gliederung fürs erste, doch zuletzt Konzentrierung und Sonderung des Künstlerischen bis zu solchem Grad, daß sogar möglich scheinen wird, Filmkunstwerke — Filmmusikkunstwerke — um ihrer selbst willen zu schaffen.


Musikerwelt und Filmwelt sind geschiedene Welten. Aber es sind weder künstlerische noch technische Widerstände, sondern fundamentale Mängel der Verständigung, Widerstände organisatorischer Art, die den Musiker fernhalten und das Entstehen diskutierbarer Filmmusik hindern. Das Problem der Filmmusik ist das Problem ihrer Organisation.


Diese Organisation, die sich freilich nicht aus dem Ärmel schütteln läßt, müßte die drei Etappen umfassen, die der Film durchläuft: Produktion, Vertrieb, Theater. Ihr Ziel: die Musik wird im Stadium der Produktion, mit der Bestimmung, Bestandteil des Filmwerks zu werden, hergestellt und fortan jedem Theater mit dem Film geliefert, von jedem Theater mit dem Film reproduziert.


Beim Film gibt es kein Ungefähr, das ist seine Stärke; jede Sekunde, jede winzigste Einzelheit besteht als Resultat einer Vorarbeit, die, unbegrenzt, keine Unfertigkeit duldet und sich maximale Vollkommenheit zum Ziel setzen durfte — es ist widersinnig, einen Teil des Filmganzen, die Musik, unter den unzulänglichen Arbeitsbedingungen des Theaterbetriebs zu erzeugen. Beim Film gibt es, Temposchwankungen und unrechtmäßige Willkürlichkeiten der Vorführung beiseite, keine Veränderlichkeit, das ist sein Vorteil — widersinnig, die Musik, nämlich ihre Herstellung, dem Wechsel von Kapellmeister zu Kapellmeister auszuliefern.


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