- 350 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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schlimmer, wenn sie es als Gegenstand des Unwillens tut: des spontanen Unwillens über die Zerstückelung, Entstellung, Zerstörung eines bekannten Symphoniesatzes, einer im Gedächtnis haftenden Opernszene. Die Sache wird noch ärger, die Gefahr assoziativer Abirrungen noch bedrohlicher, wenn nur ein Komponist — sofern er ein bekannter Komponist ist — zur Illustration eines Films herangezogen wird. Man denke sich etwa einen ganzen Film mit Bruchstücken aus Mozart-Opern garniert, aus der “Zauberflöte”, aus “Don Juan“: alle Fragen des Geschmacks beiseite, wäre für den Hörer der peinlichen Konflikte kein Ende. Man denke sich etwa die “Dreimäderlhaus-Methode, die ein “absolutes” Symphoniethema (aus der “Unvollendeten” von Schubert) in ein kitschig-melodramatisches Leitmotiv umgefälscht hat, in die Sphäre des Films übertragen — aber man denke nicht, daß das nur Schreckbilder einer ausschweifenden Phantasie seien; es gibt keine Unanständigkeit, die uns in der Musik des Filmtheaters erspart bliebe.


Noch einmal sind es — nicht Forderungen des Musikergewissens, sondern praktische Erwägungen und Erfahrungen, die hie und da den Illustrator bestimmen, die Verwendung allzu bekannter “Piecen” zu meiden. Er hilft sich, indem er selten gehörte Werke nach filmmöglicher Musik absucht; das “Handbuch” liefert ihm reiche Auswahl. Und — der Fortschritt läßt sich nicht verkennen — eine neue Literatur an fertigkomponierter Filmmusik ist in den letzten Jahren entstanden: Filmmusik, filmeigene Musik, neu komponiert, gebrauchsfertig, auf Vorrat, zur Illustrierung typischer, immer wiederkehrender Vorgänge und Situationen. Aber alle Mängel des Systems, alle Schwierigkeiten sind damit nicht zu überwinden. Mag so ein Stück für den allgemeinen Gebrauch “gelagerter” Illustrationsmusik noch so verwendbar, seinem Inhalt nach noch so vieldeutig, in seiner Haltung noch so filmgerecht sein: der zeitliche Ablauf und die dynamische Kurve einer Filmszene werden sich nie mit dem Bild dieser Musik decken. Der Illustrator wird sie, von Fall zu Fall, beschneiden, dehnen, verändern müssen; und immer wird das Ganze, in dem solche Kompositionen und Kompositiönchen aneinandergereiht sind, unorganisch bleiben, werden Nähte zu spüren, Unzulänglichkeiten aller Art in Kauf zu nehmen sein; es sei denn, daß der Illustrator dieses Material an vorkomponierter Musik eben nur als Material benützt — nicht anders als ein Komponist sein eigenes. Aber ein einheitliches Gesicht wird das Ganze der Illustration erst dann haben können, wenn sie ganz aus dem Vorrat eines


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