- 349 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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ganz erfüllen; in dem Maß, wie er sich ihrer Erfüllung nähert, wird seine Arbeitsweise der eines Komponisten immer ähnlicher geworden sein.


Der heutige Illustrator darf nach allem greifen, was je an Musik hervorgebracht worden; und es gibt Illustratoren, die den Wert ihrer Arbeit nach dem Rang des Komponisten einschätzen, den sie, nach seinem Tod oder hinter seinem Rücken, für ihre Zwecke bemühen. Und wieder ist es die Presse, die nicht nur das ihre versäumt, sie zurechtzuweisen, sondern alles tut, sie zu bestärken. Der Illustrator habe nicht nur die Wirkung des Films aufs glücklichste unterstützt, sondern zugleich ein rühmenswertes Stück musikalischer Volkserziehung geleistet und sich gar ein kulturelles Verdienst erworben — schrieb über die aus Wagner, Strauß und Mahler zusammengestohlene Begleitmusik zum Faust-Film der “Ufa” der Fachkritiker einer vielgelesenen Berliner Zeitung. Das ist nicht nur komisch, es ist auch verkehrt. Nicht nur, daß durch solche Musikmethoden weder der Film noch das Publikum künstlerisch gehoben wird —: wenn dieses erst dahinterkommt, wird die Wirkung des Films geschädigt.


Die Wirkung aufs Publikum — für den Film wie für die Musik, die ihn begleitet, Kriterium des Gelingens — diese Wirkung hat sich, soweit sie von der Musik ausgeht, nicht über die Schwelle des Bewußtseins zu drängen, oder die Musik hat schon ihren Zweck verfehlt. Nun gibt es im großen deutschen Publikum, also ohne Zweifel auch in der regulären Besucherschaft unserer Filmtheater, eine breite Schicht musikgewohnter, musikgebildeter Menschen, die einen gewissen Bestand an Musik, vor allem an Opernmusik, gewissermaßen ständig bei sich tragen. Wenn solch einem musikalischen Normal-Deutschen, der gekommen ist, einen Film zu sehen, unvermutet irgendein charakteristisches Stück ihm vertrauter Musik entgegenklingt, — das mindeste wird ein unwillkürliches “Nanu!” sein, mit dem er, ohne zu wollen, sich aus der Filmsituation reißt. In einem Augenblick wird der “eigentliche” Zusammenhang jener Stelle, der musikalische und gegebenenfalls auch der szenische, lebendig, und die alte, sicher funktionierende Erinnerung schiebt sich störend zwischen den Film und den Hörer, in den der eben noch hingegebene Zuschauer sich mit einem Schlag verwandelt hat. Dieser unausbleibliche psychologische Effekt des unerwarteten Wiederfindens und Wiedererkennens genügt, daß die Musik, Befremden erregend, die Aufmerksamkeit vom Bild ab- und auf sich hinlenkt;


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