- 347 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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einander fremde Welten, in denen “Musik” zweierlei bedeutet; dem deutschen Filmtheater ist einstweilen versagt, die Musik des Musikerfilms, den Begriff dieser Musik aufzunehmen.


Es liegt eine Art von ironischer Logik darin, wenn das Filmtheater sich nicht für musikalische Aufgaben interessiert, die seine Kräfte übersteigen, oder umgekehrt, wenn es die Leistungsfähigkeit seiner musikalischen Kräfte nicht auf die Höhe von Ansprüchen bringt, die oberhalb der Grenze seiner Musikinteressen liegen. Der Fall “Rosenkavalier” war symptomatisch, aber nicht typisch. Doch typisch, wenn auch vielleicht nicht in allen Einzelheiten, ist dieser: zu Raymond Bernards Film “Der Schachspieler“ hat Henri Rabaud Musik geschrieben, Rabaud, Massenet-Schüler, Rompreisträger, Pariser Konservatoriumsdirektor, unter den lebenden Musikern einer der Besten seines Landes, nicht ein Irgendwer von der Filmmusikbranche, hat aus der Höhe mitschöpferischer Intuition den Film, wie dieser es verdiente, zu einem Film-Musik-Kunstwerk erhöht. “Der Schachspieler” kam in einem großen Berliner Lichtspieltheater zur Erstaufführung, und auch Rabauds Musik wurde — gespielt, so kann man es kaum nennen; nicht nur, weil die orchestrale Wiedergabe durchaus unzulänglich war. Der Hauskapellmeister hatte das Ganze der Partitur eigenmächtig zerstört und in der bekannten Illustratorenmanier mit fremden Musikfetzen barbarisch aufgeputzt. “Musikalische Illustration und Leitung: W...U...”, meldete das Programm; zugleich mit der Tatsache, daß hier dennoch eine zum Film geschaffene Musikkomposition zugrunde lag, wurde der Name ihres Autors der …ffentlichkeit verschwiegen. Als allein zuständiger, allein verantwortlicher Repräsentant der Musik — mag er sie nehmen, wo er sie findet — gilt nun einmal der Illustrator, dem ihre Beschaffung und Ausführung obliegt. Die spitzfindige Unterscheidung von Produzieren und Reproduzieren ist aufgehoben, die Musik ist sozusagen in jenes prähistorische Stadium ihrer Entwicklung zurückgekehrt, als Schaffen und Nachschaffen eins waren. So primitiv ist nicht die heutige Filmwelt, aber ihre Vorstellung von Musik. Und kein Gedanke daran, daß irgendwer, gar die Presse, sich berufen fühlte, diese Vorstellung zu korrigieren. Die Musikkritik? Sie ist pünktlich zur Stelle, wenn der Dienst sie ruft; Filmmusik ist nicht ihr Ressort.


Um der Musik willen wird es in der Filmindustrie keine Revolution geben. Gibt es für die Musik eine Möglichkeit, auf dem Weg organischer Entwicklung im Filmtheater zu diskutablen Existenzbedingungen


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