- 346 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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nicht ausschließen würden, läßt nicht nur das Beispiel des “Rosenkavaliers” erwarten.


Der “Rosenkavalier” als Film, man erinnert sich, es war im Januar 1926 — wie ist es gewesen? Die Oper war “verfilmt“, aber es war nicht mehr die Oper; nicht, wie sich vielleicht befürchten ließ, Oper als Film, Opernfilm, Filmoper; sondern: ein Filmmusikwerk. Hätten wir nichts von der Oper gewußt, wir wären willig gewesen, zu glauben, die Musik sei als Filmmusik entstanden; in solchem Maße wirkte sie wie zum Film eingefallen, für den Film komponiert, schien sie eine einmalig-erstmalige Komposition, in die denn alte und neue Bestandteile, Übernommenes und Ergänzendes ohne spürbaren Stilunterschied eingegangen sind. Daß der repräsentativste Musiker der Gegenwart dieses erste Filmmusikwerk geschaffen hat, hätte als revolutionierendes Ereignis in die deutsche Filmwelt einschlagen müssen: wenn die deutsche Filmwelt dafür zu haben wäre, um künstlerischer Perspektiven willen sich in die Unkosten ihrer Revolutionierung zu stürzen. Die Gelegenheit, das Ereignis — Ereignis werden zu lassen, ist auf wirksamste Art verpaßt worden. Anstatt als Signal einer neuen Filmära erfaßt und in einem führenden Lichtspieltheater der deutschen Filmmetropole, Berlin, herausgebracht zu werden, blieb die Uraufführung des neuen Strauß-Opus selbstverständliches Vorrecht der sächsischen Staatsoper und wurde hier, an sozusagen historisch prädisponierter Stätte, der alten Dresdener Strauß-Tradition als neues Glied angereiht; anstatt einer filmischen sollte es eine musikalische Sensation werden. (Die freilich nicht verfehlt hat, auszubleiben: weil, vom Musikerstandpunkt gewertet, diese Umarbeitung der Rosenkavalierpartitur keine Leistung von irgendwie ereignishaftem Rang bedeutet noch zu bedeuten prätendiert.) Doppeltes Mißverständnis der Musikwelt, die das neue Werk von Strauß für sich reklamierte, und der Filmwelt, die ihr Besitzrecht und die Pflicht, es durchzusetzen, verkannte. Die Dresdener Premiere, von Strauß und seinem Adjudanten kommandiert, verlief so, daß die als Publikum geladenen Berliner Filmleute lächelten. Die Berliner Erstaufführung, sechs Tage später in einem ersten Filmtheater, dessen Orchester ein allbeliebter Filmkapellmeister leitete, verlief so, daß Richard Strauß, als Ehrengast stürmisch gefeiert, mittendrin und unter Protest das Haus verließ. Aber das Haus hatte getan, was es konnte, und alle Ansprüche erfüllt, die ihm, dem Filmtheater, zustehen. Die Sphäre, aus der — und die Sphäre, in die der Musiker Strauß herabgestiegen, das sind zwei


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