- 343 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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als abgeschlossen, wenn sein Film vorführungsreif ist; soll er sich auch noch um die Musik kümmern, die man dazu spielen wird? In Theatern, die nicht seine Theater sind? Dafür ist er ebensowenig verantwortlich wie für die Livree der Logenschließer, die das Publikum zu seinem Film einlassen. Sowenig wie Shakespeare für die Schauspieler, die seine Stücke spielen.


Bei wem liegt die Schuld? Nicht bei denen, die keine Musik schreiben. Würden etwa Opern, Symphonien, Operetten komponiert, wenn es nicht Symphonieorchester, Opernhäuser, Operettentheater gäbe? Gewiß, es gibt Filmtheater; aber dem Komponisten sind sie verschlossen: darum entsteht keine Filmmusik. Welcher idealistische Dummkopf von Musiker wird sich von einem Film, den er schon laufen sieht, “inspirieren” lassen: mit der absoluten Gewißheit, daß seine Arbeit, wenn er sie sich zumutet, umsonst sein wird, weil sie zu spät kommt? Oder, noch dümmer, aus eigener Vision “Filme komponieren”, auf Lager, ins Blaue? Das wäre so zweckmäßig wie Theaterdekorationen zu ungeschriebenen Stücken zu malen. Gewiß könnte es einmal dahin kommen, daß, von Fall zu Fall, der Entstehungsprozeß des Films, wie jener der Oper, auch von der Musik her gelenkt wird. Heute wird kein Film gedreht, nur, weil die Musik schon geschrieben ist; und würde er trotzdem gedreht, dann wird sie, eben weil sie schon geschrieben ist, nicht zu brauchen sein. Um zu passen, muß sie allemal nach Maß gearbeitet sein: frühestens kann sie gleichzeitig mit dem Film konzipiert, doch erst nach dem Bild des fertigen Films vollendet werden.


Wann, wo, wie wird Filmmusik komponiert (vorausgesetzt, daß überhaupt Filmmusik komponiert wird)? Nun, wann, wo sie dem Komponisten einfällt, beim Lesen des Manuskripts, oder in der Untergrundbahn, oder wann und wo sonst, das bleibt seine persönliche Angelegenheit. Ganz glaubhaft klingt es nicht, wenn man hört: ein Komponist habe übernommen, Szene für Szene, während der Film gedreht wird, seine Musik entstehen zu lassen. Erstens, das betrifft die technische Seite der Sache, erfährt der Film, wie jeder weiß, nach Beendigung der Aufnahmen durch Zurechtschneiden und Zusammensetzen noch so mannigfache Veränderungen, daß die im Atelier fertiggestellte Musik sich selbstverständlich nirgends mehr mit ihm decken wird; zumal das Drehtempo der Aufnahmen ein anderes ist als das Tempo der Vorführung — der normalen Vorführung (um in diesem


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