- 342 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Tanzschlagern und, nicht zuletzt, Jazzeffekten zusammengerührt, fix und fertig. Reihenfolge, Striche, Übergänge, Transpositionen, Vortragsanweisungen werden noch hineingeschrieben; wird der Film wieder abgesetzt, so tritt unverzüglich die große Radiermaschine in Tätigkeit, und die Illustration, in ihre Atome zerlegt, fliegt ins Archiv zurück. Das alles geht mit jener Geschwindigkeit, die sich bei uns “amerikanisches Tempo” nennt.


Aus Amerika haben wir auch dies System, Filmmusik zu machen, herüberbekommen, der berühmte Musikmixer Ernö Rappe hat es bei uns eingeführt — 1925, und seitdem ist die Kurve der “Originalmusik” nahe an die Nullgrenze gesunken. Als Hebung des Filmmusikniveaus war es gemeint, in Wahrheit ist der Ausblick in eine bessere musikalische Zukunft hoffnungslos verbaut worden; um so hoffnungsloser, je hoffnungsvoller der finanzielle und organisatorische Aufwand, der investiert wurde, kritiklose Optimisten gestimmt hat. Aber solche Art, mit Musik umzuspringen, ist wohl in einem Land möglich, wo Musik — das, was wir unter dem Wort verstehen — nicht Volksgut, nicht Kulturwert, sondern eingeführter Gebrauchsartikel ist; sie sollte unmöglich sein in unserm Land, das sich das Land der Musik nennen läßt, und es ist, geradeheraus gesagt, eine öffentliche Schande, daß sie bei uns geduldet — und nicht nur geduldet, sondern anerkannt und gutgeheißen wird.


Warum haben wir, von seltenen Ausnahmen abgesehen, keine diskutable, keine legitime Filmmusik? Die Schuld liegt nicht bei denen, die keine schreiben, sondern bei denen, die keine schreiben lassen. Zunächst ist ja klar: wenn das Publikum mit der üblichen Sorte Musik zufrieden ist — und seine Zufriedenheit drückt sich, schlimm genug, in der grundsätzlichen Zustimmung der Presse aus —, so hat der Filmtheaterunternehmer, vom Standpunkt seines Geschäfts, keinen Grund, unzufrieden zu sein; er fühlt es nicht als seine Aufgabe, die Besucher zu höheren Ansprüchen zu erziehen, und drängt sich nicht, von Film zu Film eine Begleitmusik erwerben zu müssen, die ihn jedesmal Geld kostet, und deren Einstudierung und Ausführung ihn obendrein vielleicht noch zu besonderem Aufwand zwingt. Vom Produzenten aber ist nicht zu erwarten, daß er die Verbreitung seines Films durch eine eigene Musik erschwere, die er ihm mit auf den Weg gibt, gar mit der Bedingung, daß sie gespielt werden müsse, wann und wo der Film läuft. Den künstlerischen Teil seiner Arbeit betrachtet er zugleich mit dieser


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