- 341 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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doch herumgesprochen, daß es neutrale, indifferente Musik halt nicht gibt; jeder Ton, jeder Takt wirkt in ganz bestimmter Weise auf die Verfassung jedes, auch des nicht musikalisch orientierten Menschen, auch dann und gerade dann, wenn er, als Filmpublikum, nicht auf akustische, sondern nur auf optische Reize eingestellt ist. Es gibt keine Musik und läßt sich keine denken, die, was ihre Wirkung betrifft, sich damit beschiede, “irgendwie” zu sein; so daß denn Musik, die nicht zum Film “paßt”, in der Tat als nicht-passend, also irgendwie als Beeinträchtigung empfunden wird. Von dieser, fürs erste negativen Erkenntnis war nur ein Schritt zu der positiven: daß “passende” Musik — solche nämlich, in der das Filmgeschehen sich spiegelt, die den Film untermalt, ergänzt, also steigert — fähig und also befugt ist, die Wirkungsmöglichkeit des Films zu mehren. Mit andern Worten: daß die Filmmusik mitwirksamer Faktor des Films zu sein hat. Doch schon die nächste und selbstverständlichste Konsequenz wurde aus dieser Erkenntnis nicht gezogen; anstatt grundsätzlich dem Verantwortungsbereich der Filmproduktion zugewiesen zu werden, blieb die Musik auch weiter Funktion des (reproduzierenden) Theaters und ist es geblieben — des Theaters, dessen Kapellmeister, nun selbstverständlich, ein paar Stunden oder Tage vor der Premiere zum Komponieren weder Zeit noch übrigens Auftrag oder Antrieb hat und seine musikalische Illustration, Gott weiß woher und kein Mensch fragt woher, zusammenträgt. Ein listiges Zettelkastensystem liefert ihm für jeden Film die zugehörige Musik, szenenweise fertig komponiert. Motto: Es ist alles schon dagewesen (bei andern Komponisten). Zu sämtlichen Filmen der Welt, nämlich zu allen im Film je vorkommenden Stimmungen, Situationen, Charakteren, Affekten, Katastrophen, Milieus, Naturereignissen ist die zugehörige Musik, taktweise, meterweise passend, längst geschrieben; man muß sie nur zu finden wissen. Das ist eine Frage der Verwaltung, nichts weiter. Die Musik ist da — alle Musik aller Zeiten und aller Länder ist dazu da, für den Filmgebrauch assortiert, parzelliert, katalogisiert, kartothekisiert zu werden. Allgäu, Badestrand, Citronenblüte, Dämonisch, Exotisch, Furioso siehe Wütend...der Musiker braucht nur sein komplettes Magazin, die Nummern nach ihrem Verwendungszweck alphabetisch geordnet, bei der Hand zu haben, und wenn er jetzt einen neuen Film zum erstenmal zu sehen kriegt: über Nacht ist seine musikalische Illustration, aus Debussy, Hildach, Mozart, Leh‡r, Mascagni, Volksliedern,


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