- 339 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Hat der künstlerische Film Musik als mitwirksamen Faktor nötig? Da fragt sich, ob der Film ohne Musik existieren könnte. Aber diese Frage ist durch die Erfahrung eines Menschenalters beantwortet: das Filmtheater braucht Musik. Musik hat und hatte von je im primitiven kleinen Vorstadtkino die Aufgabe, störendes Geräusch (des Apparats und des Publikums) zu übertönen, alles akustisch Zufällige zu binden und zu glätten, das Ohr - nicht zu beschäftigen, doch ablenkende Beschäftigung des Ohres zu unterbinden; die Aufmerksamkeit des Auges zu konzentrieren und zugleich die Spannung des überwachen Gesichtssinns zu mildern. Lautlose Stille in verdunkeltem, mit Menschen gefülltem Haus wäre für die Dauer einer Filmvorstellung als Zustand weder zu ertragen noch zu erzielen. Man kennt von gelegentlichen Beispielen — von Probevorführungen, von Musikerstreiks in Filmtheatern, von den Pausen, die der Kinopianist sich gönnen mußte -, man kennt die eigentümlich ermüdende und zugleich beunruhigende Wirkung des musiklosen Films; und man erinnert sich an Sekunden beklemmend gesteigerter Aufmerksamkeit im Varieté, wenn für den Augenblick der höchsten Sensation das Orchester abbricht...Musik, mit einem Wort, ist im Filmtheater aus vielfältigen Gründen notwendig und bewährt. Das Filmtheater braucht Musik; das Filmwerk aber braucht, um wirksam zu werden, das Filmtheater und muß sich also, um des Theaters willen, mit Musik verbinden. Aber der Theaterbesucher, sehend und hörend zugleich, kann nicht das Auge auf Kunst einstellen, während das Ohr Unkunst nicht ernst nimmt. Das Ohr hat nicht mitzusprechen im Filmtheater? Nun gewiß, unzulängliche Filmmusik enttäuscht nicht das Ohr, sondern verärgert das Auge. Darum muß dem künstlerischen Rang des optischen der des akustischen Erlebnisses entsprechen. Darum muß der “künstlerische“ Film “künstlerische” Musik haben.


Als bescheidener kleiner Kinopianist hat die Filmmusik angefangen. Das war, im gegebenen Rahmen, eine ideale, nämlich zur Erfüllung ihres Zwecks vollkommene Lösung des Problems Filmmusik, das damals selbsverständlich noch keins war. Der Musiker saß am Klavier und spielte irgend etwas, meist gewiß indiskutables Zeug, oder er improvisierte drauflos, niemand hörte hin. Aber er saß da, vor sich den Film, und konnte spielen, wie Laune und Stimmung es ihm eingaben. Es war da immerhin eine Art selbstverständlicher Übereinstimmung zwischen Bild und Musik. Die war gewiß nicht “künstlerisch”, aber


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