- 337 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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das Filmwerk — in das Filmkunstwerk, wann und wo wirklich einmal eins geschaffen wird — die hinzugetane Musik, eben weil sie nur “hinzugetan” ist, nicht auf verbindlich-gültige Art als Teil und Bestandteil eingeht; sie wird — oder jedenfalls bleibt nicht in das Filmganze als einer der Teile einbezogen, aus denen dieses besteht, und die, solange es besteht, darin Bestand haben. Die Musik ist nun einmal Ressortangelegenheit des Theaters, jeweilig Zutat des Theaters zu dem Film, den es zeigt; auch wenn sich's dabei um Musik handelt, die, als Teil des Filmwerks gemeint, im Stadium seiner Produktion entstanden ist.


Als der Film ins Leben trat, da war er, nun ja, eine neue “Errungenschaft”; immer dauert es eine Weile, bis wir wissen, was wir mit solch einer Errungenschaft Neues anfangen sollen. So erleben wir's mit dem Rundfunk; nicht anders war es mit dem Film. Man hatte ihn; man mußte sich erst klarwerden, wozu man ihn hatte. Es war die typische Verlegenheit eines technisch produktiven, geistig sterilen Zeitalters: ein Mittel ist entdeckt; Mittel zu welchem Zweck, das findet sich. “Kunst” ist der Film im Anfang nicht gewesen, soviel ist sicher. Aber alles, was heute als Kunst besteht, hat sich aus Anfängen entwickelt, die nicht (— noch nicht) Kunst waren. Nur, hinter jene Anfänge vermögen wir uns nicht ohne Anstrengung zurückzudenken; die Zeit aber, da es absurd schien, von Filmkunst zu reden, lebt in unserer Erinnerung. Filmkunst sahen und sehen wir entstehen: als Abfall einer technischen Erfindung zunächst und unverpflichtetes Wahrnehmen von Kunstmöglichkeit; als Spiel, Zufallsspiel künstlerischer Potenzen, die die Industrialisierung des Kinos entbunden hat, als Luxus und Laune einer prosperierenden Industrie. Vielleicht hat diese Filmindustrie, um zu prosperieren, die Kunstfassade nötig; obgleich aber das Schicksal der Filmkunst — Schicksal im radikalen Sinn der Alternative Sein oder Nichtsein — ihr überantwortet ist, reicht ihr Kunstehrgeiz nur so weit, Kunstwerte in das Filmganze eingehen zu lassen, nicht so weit, das Ganze als Kunst zu intentionieren; nicht so weit, daß Filmkunstwerke um ihrer selbst willen könnten geschaffen werden.


Kann eine Sache zugleich eine Kunst und eine Industrie sein? Wir haben eine Filmindustrie; darum haben wir keine Filmkunst. Aber wir könnten, sollten dennoch eine Filmkunst haben. Sie müßte vor allen Dingen aus den Banden der Filmindustrie, deren Kreatur sie ist, gelöst werden. (Nicht auch aus ihrem wirtschaftlichen Zusammenhang.)


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