- 336 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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doch zum Film entstanden, dafür bestimmt, ihn zu begleiten - es würde, soweit es seine Bestimmung erfüllt, immer als Beitrag und Versuch einer Lösung bestehen können. Der Begriff Kunst fängt für den Filmmusiker erst bei der - “Originalmusik” an, um noch einmal den komischen Namen auszusprechen, der die widerkünstlerische Mentalität des heutigen Filmtheaters schonungslos enthüllt. Welch ein Tiefstand der Kunstmoral offenbart sich dem, der um die bestehenden Verhältnisse nicht weiß, nur in dem unbedenklichen Gebrauch dieses Namens, der als Besonderheit hervorhebt, was allererste Selbstverständlichkeit sein müßte. Originalmusik, man könnte wohl ebensogut den Hut, den jemand auf dem Kopf hat, seinen “Originalhut” nennen - womit etwa ausgedrückt wäre, daß es in der Tat sein Hut ist und kein fremder. Nur eben, daß das Tragen entwendeter Hüte nicht allgemein üblich ist; wogegen es allerdings Regel ist, Filme mit — nicht-originaler Musik zu garnieren, eine Regel, die längst keinen Wert mehr darauf legt, sich durch Ausnahmen bestätigen zu lassen.


Noch einmal: nur die Musik, die, ihrer Bestimmung nach, zum Film gehört — bestimmte Musik zu einem bestimmten Film —, sollte, wenn von Kunst die Rede ist, als “Filmmusik” etikettiert werden. Aber noch einmal: nur von solcher Musik reden, hieße, das Thema Filmmusik aus der Realität in das Reich der Utopie, des Sein-Sollenden, der Wünschbarkeiten verlegen. Die Geschichte der Filmmusik, das sind die Stadien eines zähen, doch ein Ende fast aussichtslosen Ringens, aus Unkunst zur Kunst aufzusteigen, aus Utopie Wirklichkeit werden zu lassen. Die Geschichte des Films ist von Anfang an eine Geschichte enttäuschter Musikerhoffnungen, verpaßter Musikgelegenheiten gewesen.


Die gegenwärtige Situation und die Entwicklung, die zu ihr geführt hat, beides erklärt sich aus zwei Tatsachen. Erstens, der Film hat nicht als Kunst begonnen. Und zweitens, nicht ein künstlerisches Bedürfnis des Films, sich mit Musik zu verbinden, sondern das praktische Bedürfnis des Filmtheaters, die Filmvorführung mit Musik auszustatten, bildet den Ursprung aller Filmmusik. Die erste Tatsache besagt oder hat zur Folge, auch heute noch, daß der einzelne Film - das Filmwerk — nicht eigentlich mit dem Anspruch auftritt, als “absolutes“ Kunstwerk, oder nur als Kunstwerk, gewertet zu werden; sowenig, wie, allgemein gesprochen, das Wort “Film” die Bestimmung angenommen hat, schlechthin und ohne Vorbehalt Name einer Kunstgattung zu sein. Die andere bedeutet und bedingt noch immer, daß in


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