- 33 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


wird die erfahrbare Wirklichkeit nicht in ihren Ordnungen und Regeln gesehen, sondern sie wird dichter und dichter in einen bloßen Wunschtraum eingehüllt, der ihre eigene Form verdeckt. Auch diese Leistung der “Subjektivität” ist freilich nicht ausschließlich negativ zu bewerten: denn es ist schon ein erster und im gewissen Sinne entscheidender Schritt, wenn der Mensch sich nicht lediglich dem Eindruck der Dinge, ihrer bloßen “Gegebenheit” überläßt und unterwirft, sondern statt dessen dazu übergeht, eine Welt aus sich erstehen zu lassen — wenn er sich nicht mehr beim bloßen Dasein beruhigt, sondern ein So-Sein und ein Anders-Sein fordert. Aber dieser ersten aktiven Richtung, in der der Welt des Seins die Welt der Tat gegenübertritt, fehlt es noch an den echten Mitteln der Betätigung. Indem der Wille direkt auf sein Ziel überspringt, kommt es in solcher magischen Identifizierung von Ich und Welt zu keiner wahrhaften “Auseinandersetzung” zwischen beiden. Denn jede solche Auseinandersetzung fordert nicht nur Nähe, sondern Entfernung; nicht nur Bemächtigung, sondern auch Verzicht, nicht nur die Kraft des Erfassens, sondern auch die Kraft zur Distanzierung.


Eben dieser Doppelprozeß ist es, der sich im technischen Verhalten offenbart, und der es vom magischen Verhalten spezifisch unterscheidet. An Stelle der Macht des bloßen Wunsches ist hier die Macht des Willens getreten. Dieser Wille offenbart sich nicht nur in der Kraft des vorwärtsstürmenden Impulses, sondern in der Art, in der dieser Impuls geleitet und beherrscht wird; er offenbart sich nicht nur in der Fähigkeit der Ergreifung des Zieles, sondern in einer eigentümlichen Fähigkeit, das Ziel in die Ferne zu rücken und es in dieser Ferne zu belassen, es in ihr “stehen zu lassen”. Dieses Stehen-Lassen des Zieles ist es erst, was eine “objektive” Anschauung, eine Anschauung der Welt als einer Welt von “Gegenständen” ermöglicht. Der Gegenstand ist für den Willen ebensosehr die Richt- und Leitschnur, die ihm erst seine Bestimmtheit und seine Festigkeit gibt, wie er die Schranke des Willens, sein Gegenhalt und sein Widerstand, ist. An der Kraft dieser Schranke erwächst und erstarkt erst die Kraft des Willens. Die Durchführung des Willens kann niemals in der bloßen Steigerung seiner selbst gelingen; sondern sie verlangt, daß der Wille in eine ihm selbst ursprünglich fremde Ordnung eingreift, und daß er diese Ordnung als solche weiß und erkennt. Dieses Erkennen ist immer zugleich eine Weise des An-Erkennens. Der Natur wird jetzt


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