- 32 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


im gewissen Sinne an die Allmacht des Ich: aber diese Allmacht stellt sich ihm lediglich in der Kraft des Wunsches dar. Dem Wunsch in seiner höchsten Steigerung und Potenzierung vermag sich zuletzt die Wirklichkeit nicht zu entziehen; sie wird ihm gefügig und untertan. Der Erfolg eines bestimmten Tuns wird daran geknüpft, daß das Ziel dieses Tuns in der Vorstellung aufs genaueste vorweggenommen wird, und daß das Bild dieses Zieles in höchster Intensivierung herausgearbeitet und festgehalten wird. Alle “realen” Handlungen bedürfen, wenn sie glücken sollen, einer solchen magischen Vorbereitung und Vorwegnahme; ein Kriegs- oder Beutezug, ein Fischfang oder eine Jagd können nur gelingen, wenn jede Einzelphase von ihnen in der rechten Weise magisch-antizipiert und gleichsam “vorgeübt” ist. 1) Schon in der magischen Weltansicht reißt sich somit der Mensch von der unmittelbaren Gegenwart der Dinge los und richtet sich ein eigenes Reich auf, mit dem er in die Zukunft hinausgreift. Aber wenn er damit im gewissen Sinne von der Macht der unmittelbaren Empfindung frei wird, so hat er an ihrer Stelle nur die Unmittelbarkeit des Begehrens eingetauscht. In ihr glaubt er die Wirklichkeit direkt ergreifen und bezwingen zu können. Die Gesamtheit der magischen Praktiken ist gewissermaßen nur die Auseinanderlegung, die fortschreitende Entfaltung des Wunschbildes, das der Geist von dem zu erreichenden Ziele in sich trägt. Die einfache, immer gesteigerte Wiederholung dieses Zieles gilt schon als der Weg, der mit Sicherheit zu ihm hinführen muß. Auf diese Weise entstehen die beiden Urformen der Magie: der Wortzauber wie der Bildzauber. Denn Wort und Bild sind die beiden Weisen, in denen der Mensch ein Nicht-Gegenwärtiges gleich einem Gegenwärtigen behandelt; in denen er ein Gewünschtes und Ersehntes gleichsam vor sich hinstellt, um es schon in diesem Akt des "Vorstellens” zu genießen und sich zu eigen zu machen. Das Räumlich-Entlegene und das Zeitlich-Ferne wird im Wort “hervorgerufen”; oder es wird “eingebildet” und “vorgebildet”. So wird schon hier das regnum hominis gesucht; aber es entgleitet dem Menschen alsbald wieder und löst sich in ein bloßes Idol auf. Die Magie ist zweifellos nicht lediglich eine Weise der Weltauffassung, sondern in ihr liegen schon echte Keime der Weltgestaltung. Aber das Medium, in dem sie sich bewegt, läßt diese Keime nicht zur Entfaltung kommen. Denn noch

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1) Reiches ethnologisches Material für diese Grundanschauung findet sich bei Levy-Bruhl, Das Denken der Naturvölker, deutsche Ausg.,Wien 1921.


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