- 321 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Hier ist Farbe und Dynamik so ausschlaggebend, daß die akustische Umzeichnung in das Schwarzweiß das Problem nicht vollkommener zu lösen vermag als etwa bei einer auf die Farbe verzichtenden Reproduktion eines Bildes von Böcklin oder Lovis Corinth. Die größten Schwierigkeiten bieten sich immer dann, wenn Farbe und Dynamik aus polyphoner oder akkordlicher Führung der Mittelstimmen hervorgehen. Selbstverständlich können wir hier keine generelle Regel aufstellen; das einzelne Werk, vielfach aber auch die Phantasie des gestaltenden Radiodirigenten oder sonstigen Radiomusikers entscheidet. Fast unzugänglich bleibt der dicke orchestrale Klaviersatz des 19. Jahrhunderts, mit Ausnahme vielleicht von dem rein impressionistischen Debussys. Wagners Instrumentation bietet immer wieder Überraschungen. Manches ist für den Funk geradezu unmöglich, anderes klingt wieder so auffallend gut, als sei es für den Funk geschrieben. Natürlich kann auch eine klanglich und dynamisch erfüllte Musik dann zugänglich werden, wenn ihre Zeichnung für sich stark genug ist. Ein idealeres Funkmusikstück als das Siegfried-Idyll gibt es wohl kaum.


Wichtig für die Loslösung vom Surrogat ist die Emanzipation von der konzertmäßigen Programmgestaltung. Das große symphonische Konzert ist und bleibt eine Angelegenheit des dreidimensionalen Konzertraums. Zahlreiche optische und gesellschaftliche Bindungen wirken hier mit. Schon aus den letzteren Gründen, das heißt weil diese Faktoren bei der Sendung wegfallen, muß das Kurzprogramm in den Vordergrund treten; die Ungebundenheit der Sendung an eine Veranstaltung bestimmten Charakters mit bestimmtem Raum gibt ungezählte neue Möglichkeiten. Daß sich reine Musik, Vokalmusik und gesprochenes Wort zwanglos binden, wurde schon ausgeführt. Vor allem aber können wir das einzelne Kunstwerk, ohne es überhaupt an ein Programm zu binden, auch dann bringen und als selbständige Welt wirken lassen, wenn es verhältnismäßig kurz ist. Natürlich dürfen wir hier heute noch nicht radikal vorgehen; aber ein neuer Typus des Programms wird sich langsam entwickeln und vielleicht dann auch irgendwie segensreich auf die noch immer allzusehr überladenen Konzertprogramme wirken. Am stärksten tritt der Surrogatcharakter des Rundfunks bei der Opernübertragung hervor. Man sollte der lebendigen Bühne überlassen, was ihr gehört! Gibt es eine ärgere Desavouierung des Bayreuther Gedankens (der bekanntlich so alt ist wie die


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