- 320 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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wissen, daß es Zeiten gegeben hat, in denen eine überalterte, legitime Kunst durch den Musikwillen unterer Schichten gesprengt wurde, meint man, das Wissen um diese Tatsache genüge, um es ebenso zu machen. Da war es aber, um nur zwei zusammenhängende Beispiele zu nennen, mit der Entstehung der napolitanischen Oper und der englischen Beggar’s Opera doch etwas anders beschaffen. Entscheidend war dort die göttlich unbeschwerte Naivität, die heute leider in den Kreisen der neuen Musik noch viel weniger vorhanden ist als in denen, die sich um die Erhaltung einer traditionellen Schule bemühen. An dem Mangel an Naivität scheinen uns die bisherigen Versuche um eine selbständige Radiomusik gescheitert zu sein. Immerhin: weite Kreise innerhalb des kompositorischen Schaffens sind am Werk, die Schaffenden haben eine Initiative ergriffen, und die natürliche Entwicklung wird sich zuletzt auch als natürlich naiv ausweisen. Vergessen wir nie, daß die ganze Rundfunkbewegung erst wenige Jahre alt ist.


Die Frage drängt sich uns auf: was soll geschehen, diese eigentümlichen Entwicklungsmöglichkeiten der Rundfunkmusik aus ihren eigenen Kräften heraus, ohne intellektuelle Spekulation, rein aus der Praxis zu fördern? Wir sind vorläufig im Rundfunk auf eine Musik angewiesen, die ihm ursprünglich nicht gehört. Wir müssen uns deshalb zunächst darauf beschränken, sie in einer Form zu bieten, die ihre Ausführung langsam vom Konzertsaalsurrogat entfernt. Vorerst läßt sich solche Musik auswählen, die sich der akustischen Schwarzweißtechnik gegenüber nicht als spröde und unerreichbar zeigt. Die Aufgabe ist also ungefähr die gleiche, wie wenn man aus den Werken der bildenden Kunst diejenigen aussuchen würde, die sich einer Nachgestaltung neuschöpferischer Art in Radierung und Holzschnitt innerlich nicht widersetzen. Hieraus ergibt sich ohne weiteres, warum gerade die zeitgenössische Musik eine vielfach so vorzügliche Eignung für den Rundfunk besitzt. Die parallelen Zielrichtungen weisen sich auf. Dieser modernen Musik gliedert sich die alte Polyphonie zwanglos an; aber auch die Homophonie, soweit ihr Wesen nicht in Farbe und Dynamik beruht, zeigt sich als geeignet. Die Schwierigkeiten beginnen mit dem Mannheimer Crescendo; trotzdem vermögen wir ohne weiteres Haydn und Mozart, einen Teil Beethovens, sogar noch Schubert, Weber und Mendelssohn tadellos zu übertragen. Die Musik von 1830 bis auf Strauß, Pfitzner, Reger macht die meisten Schwierigkeiten.


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