- 31 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


Die Magie unterscheidet sich von der Wissenschaft zwar im Resultat, aber nicht in ihrem Prinzip und in ihrem Problem. Denn der Grundsatz: “Gleiche Ursachen, gleiche Wirkungen” beherrscht auch sie und gibt ihr das Gepräge, das sie durchgängig zeigt. Daß sie diesen Grundsatz nicht im gleichen Sinne, wie die theoretische Naturwissenschaft anzuwenden vermag, beruht nach Frazer nicht auf einem logischen, sondern lediglich auf einem faktischen Grunde. Sie ist “primitiv” nicht ihrer Denkform nach, sondern nach dem Maß und der Sicherheit ihrer inhaltlichen Kenntnisse. Der Kreis der Beobachtung ist zu eng, die Art der Beobachtung ist zu schwankend und unsicher, als daß es zur Aufstellung wirklich haltbarer empirischer Gesetze kommen könnte: aber das Bewußtsein der Gesetzlichkeit als solcher ist in ihr erwacht und wird von ihr unverbrüchlich festgehalten. So sieht Frazer zuletzt in den beiden Grundformen der Magie nichts anderes als die Anwendungen und Abwandlungen des “wissenschaftlichen” Grundsatzes der Kausalität, den er hierbei gemäß den Anschauungen des englischen Empirismus auffaßt und erläutert. Die “sympathetische” Magie und die “homöopathische oder imitative” Magie beruhen beide auf den grundlegenden Gesetzen der Ideenassoziation, die auch alles kausale Denken beherrschen: in dem einen Falle wirkt sich das Gesetz der “Ähnlichkeitsassoziation”, in dem andern das Gesetz der “Berührungsassoziation” aus und wird zur Richtschnur des theoretischen und praktischen Verhaltens.1)


Der Mangel dieser Theorie Frazers, der eine große Zahl ethnologischer Forscher sich angeschlossen haben, läßt sich mit einem Wort bezeichnen: sie spricht dem magischen Verhalten eine Bedeutung zu und vindiziert ihm eine Leistung, die erst dem technischen Verhalten vorbehalten ist. Die Magie mag sich immerhin dadurch von der Religion unterscheiden, daß der Mensch in ihr aus dem bloß passiven Verhältnis zur Natur heraustritt — daß er die Welt nicht länger als bloßes Geschenk überlegener göttlicher Macht empfangen, sondern, daß er sie selbst in Besitz nehmen und ihr eine bestimmte Form aufprägen will. Aber die Art dieser Besitzergreifung ist eine durchaus andere als diejenige, die sich im technischen Wirken und im naturwissenschaftlichen Denken vollzieht. Der magische Mensch, der “homo divinans”, glaubt

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1) Vgl.J.G.Frazer, The Goulden Bough, Part.I: The Magic Art and the Evolution of kings, London 1911, Vol.I, Cap.3 u.4.


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