- 315 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Einzig und allein das eine kann uns heute keiner verwehren: festzustellen, was bereits da ist und den gewonnenen Extrakt aus der kurzen Geschichte des Radio ästhetisch grundsätzlich und damit auch unter einem Ausblick auf die Zukunft zu bewerten.


Zunächst die schon gemachte Feststellung, daß der Kreis der ernsten Musiker, der sich mit dem Rundfunk beschäftigt, ständig im Wachsen ist, daß mit stets gesteigerter Deutlichkeit das hervortritt, worauf es jetzt zunächst ankommt, daß überhaupt ein künstlerisches Problem vorhanden ist. Zweifellos eilt hierbei die Kunstbetrachtung der künstlerischen Tat voraus; was bisher an sogenannter Radiomusik geschrieben worden ist, gehört entweder zu 90 Prozent noch in den Konzertsaal oder ist höchstens als Experiment, niemals aber als absolute Kunst wertvoll. So war es aber bei neuen stilistischen Versuchen immer: wie lange hat es gedauert, bis die Oper aufhörte, zu gleichen 90 Prozent Madrigalspiel und zu den übrigen 10 Prozent ein von dem Augenblick der Entstehung bereits überholter Versuch zu sein? Ist unsere Zeit gegenüber älteren in der Klärung ästhetischer Fragen wirklich schnellebiger geworden?


Die charakteristischste, aber zugleich auch handgreiflichste stilistische Eigentümlichkeit des Rundfunks, im allgemeinen und über das Musikalische hinaus gesehen, liegt in dem Umstand, daß hier das gesamte Weltbild ausschließlich durch das Akustische, also nur durch den Gehörsinn, vermittelt wird. Eines ähnlichen Ausdrucksmittels bedient sich die absolute Musik, wenn man von den optischen Elementen des Konzertsaals absieht; umgekehrt erreicht die bildende Kunst ihre Wirkungen in derselben umfassenden Weise durch das rein Optische. Aus diesen beiden letzteren Künsten wissen wir aber, daß der rein akustische Ausdruck beim Rezeptiven die optische Sensibilität ebenso stark erhöht, wie die akustische durch den rein optischen geschärft wird. Mit andern Worten: rein akustische Kunst erzeugt eine starke optische Phantasie und umgekehrt. Aus typischen optischen oder akustischen Ausdrucksmitteln oder Ausdrucksformeln bilden sich ebenso typische Assoziationen auf dem Gebiete der Wahrnehmungen des andern, hier nur durch die Phantasie erregten Sinnes. Man hat dies früh erkannt, als man anfing, das Wort im Rundfunk durch naturalistische Geräusche verschiedenster Art der Phantasie näherzubringen. Man schuf die sogenannte akustische Kulisse, das heißt also eine optische Umwelt für den Sprecher, die nur in der Phantasie vorhanden


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